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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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beschränkt bleiben. Von der Lösung dieses Problems hängt es ab, ob die Zukünftigen kommen oder nicht.
    Ich glaube an die Ankunft der Zukünftigen.
     
     

Daniel1,7
    »Spiele sind unterhaltsam.«
    Petra Durst-Benning
    Hunde sind nicht nur imstande zu lieben, sondern ihr Sexualtrieb scheint ihnen auch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten zu bereiten: Wenn sie einer läufigen Hündin begegnen, läßt sich diese im allgemeinen bereitwillig penetrieren; wenn das nicht der Fall ist, scheinen sie auch kein besonderes Verlangen danach zu empfinden und nicht darunter zu leiden.
    Hunde sind als solche bereits eine Quelle ständiger Freude, aber darüber hinaus bieten sie den Menschen eine unerschöpfliche Quelle für Gesprächsstoff - ein internationales, demokratisches und konfliktloses Thema. Auf diese Weise lernte ich Harry, einen deutschen Astrophysiker im Ruhestand, in Begleitung seines Beagles Truman kennen. Harry, Anfang Sechzig, war ein friedfertiger Anhänger der Freikörperkultur, der viel Zeit damit verbrachte, die Sterne zu beobachten — der Himmel in dieser Gegend war, wie Harry mir erklärte, außerordentlich klar; tagsüber pflegte er seinen Garten und räumte ein bißchen auf. Er lebte mit seiner Frau Hildegard zusammen — und natürlich mit Truman; sie hatten keine Kinder. Es versteht sich von selbst, daß ich, wenn dieser Mann keinen Hund gehabt hätte, ihm nichts zu sagen gehabt hätte — und selbst mit Hund verlief das Gespräch ein wenig stockend (er lud uns für den folgenden Samstag zum Abendessen ein; er wohnte fünfhundert Meter von uns entfernt, war unser nächster Nachbar). Zum Glück sprach er kein Französisch und ich kein Deutsch; denn dadurch, daß wir eine Sprachbarriere zu überwinden hatten (ein paar Sätze auf Englisch, ein paar Brocken Spanisch), hatten wir letztlich das Gefühl, daß wir einen angenehmen Abend verbracht hatten, obwohl wir zwei Stunden lang nur banale Dinge gebrüllt hatten (er war ziemlich schwerhörig). Nach dem Essen fragte er mich, ob ich Lust hätte, die Saturnringe zu beobachten. Selbstverständlich hatte ich Lust, selbstverständlich. Ich muß zugeben, daß es ein wunderbares Schauspiel natürlichen oder göttlichen Ursprungs war, das dem Menschen zur Betrachtung dargeboten war, mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Hildegard spielte Harfe, ich vermute, daß sie wunderbar spielte, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es möglich ist, schlecht Harfe zu spielen — ich meine damit, daß dieses Instrument aufgrund seiner Bauweise meines Erachtens nichts anderes hervorbringen kann als melodiöse Töne. Zwei Dinge haben mich wohl davon abgehalten, mich aufzuregen: Zum einen war Isabelle so klug zu behaupten, sie sei müde, und den Wunsch auszudrücken, daß wir früh nach Hause gingen, auf jeden Fall, ehe ich die Flasche Kirsch ganz ausgetrunken hatte; und zum anderen hatte ich bei dem Deutschen eine gebundene Gesamtausgabe der Werke von Teilhard de Chardin entdeckt. Wenn es etwas gibt, was mich immer mit Trauer oder Mitleid erfüllt oder mich zumindest in einen Zustand versetzt, der jede Form von Gemeinheit oder Ironie ausschließt, dann ist das die Existenz von Teilhard de Chardin — nicht nur seine Existenz im übrigen, sondern die Tatsache, daß es Leute gibt, die ihn lesen oder gelesen haben, auch wenn es nicht sehr viele sein mochten. In Gegenwart eines Lesers von Teilhard de Chardin fühle ich mich hilflos, entwaffnet, bereit, in Tränen auszubrechen. Mit fünfzehn war ich zufällig auf Das göttliche Milieu gestoßen, das ein Leser, der vermutlich genug davon hatte, auf einer Bank im Bahnhof von Etrechy-Chamarande liegengelassen hatte. Schon nach wenigen Seiten stieß ich beim Lesen laute Schreie der Verzweiflung aus und zerschmetterte die Luftpumpe meines Rennrads an der Kellerwand. Teilhard de Chardin war natürlich ein Erleuchteter ersten Ranges, wie man so sagt; aber trotzdem war er völlig deprimierend. Er glich ein wenig den von Schopenhauer beschriebenen christlichen deutschen Wissenschaftlern, die »kaum daß sie die Retorte oder das Skalpell aus der Hand gelegt haben, über die Begriffe zu philosophieren beginnen, die ihnen bei ihrer Erstkommunion beigebracht worden sind«. Und er war auch der Illusion verfallen, die er mit allen Christen teilte, die politisch links oder im Zentrum standen — mit anderen Worten, Christen, die seit der Revolution von der progressiven Gesinnung angesteckt waren —, der Illusion zu glauben, daß die

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