Die Mglichkeit einer Insel
wie sie sich näherte, ohne Aggressivität oder Angst zu zeigen. Ein kleiner rotbraun gefleckter weißer Hund mit spitzen Ohren, der höchstens drei Monate alt war, kroch auf sie zu — eine richtige Promenadenmischung. Sie bückte sich, nahm das Tier in die Arme und ging zum Auto zurück. So hielt Fox Einzug in unser Leben — und mit ihm die bedingungslose Liebe.
Daniel24,6
Die komplexe Verflechtung von Proteinen, die bei den Primaten die Hülle des Zellkerns bildet, war der Grund dafür, daß das Klonen von Menschen jahrzehntelang gefährlich, zufallsbedingt und letztlich so gut wie unmöglich blieb. Bei den meisten Haustieren jedoch, einschließlich des Hundes — wenn auch bei ihm mit etwas Verspätung —, war dieses Verfahren auf Anhieb ein voller Erfolg. Während ich diese Zeilen schreibe und der Tradition zufolge den Lebensbericht meines menschlichen Vorfahren mit einem Kommentar versehe, so wie es meine Vorgänger getan haben, liegt also genau der gleiche Fox vor meinen Füßen.
Ich führe ein ruhiges, freudloses Leben; das große Grundstück des Anwesens bietet mir die Möglichkeit, kurze Spaziergänge zu machen, und eine vollständige Fitneßausrüstung erlaubt es mir, meine Muskeln zu trainieren. Fox ist hier glücklich. Er rennt über das Grundstück und begnügt sich mit dem vorgeschriebenen Bezirk — er hat schnell gelernt, sich nicht dem Elektrozaun zu nähern; er spielt mit einem Ball oder einem der kleinen Plastiktiere (von denen ich Hunderte besitze, die mir meine Vorgänger hinterlassen haben); vor allem das Musikspielzeug hat es ihm angetan und insbesondere eine in Polen hergestellte Ente, die in unterschiedlichen Tonlagen quakt. Doch am liebsten mag er es, wenn ich ihn in den Arm nehme und er mit geschlossenen Augen in seligem Halbschlaf, den Kopf auf meinem Schoß, sich von der Sonne bescheinen läßt. Wir schlafen im selben Bett, und jeden Morgen leckt er mich zur Begrüßung ab und kratzt mich mit seinen kleinen Pfoten; er ist sichtlich glücklich, das Leben und das Tageslicht wiederzufinden. Er hat die gleichen Freuden wie seine Vorfahren, und auch bei seinen Nachkommen werden es die gleichen bleiben; seine Natur beinhaltet die Möglichkeit des Glücks.
Ich bin nur ein Neo-Mensch, und meine Natur beinhaltet keinerlei Möglichkeit dieser Art. Daß bedingungslose Liebe die Voraussetzung für die Möglichkeit des Glücks ist, das wußten schon die Menschen, zumindest die am weitesten entwickelten unter ihnen. Auch wenn wir das Problem inzwischen vollständig erfaßt haben, ist es uns bisher nicht gelungen, irgendeine Lösung dafür zu finden. Das Studium der Biographie der Heiligen, in das manche so große Hoffnungen gesetzt haben, hat uns keinen Schritt weitergebracht. Die Suche der Heiligen nach persönlichem Heil war nur zum Teil altruistisch motiviert (wobei ihre ausdrücklich proklamierte Unterwerfung unter den Willen des Herrn zudem oft nur ein bequemes Mittel gewesen sein dürfte, ihren angeborenen Altruismus vor den Augen der anderen zu rechtfertigen), aber der anhaltende Glaube an ein ganz offensichtlich abwesendes göttliches Wesen rief in ihnen Abstumpfungseffekte hervor, die auf lange Sicht nicht mit dem Erhalt einer technisch hoch entwickelten Zivilisation vereinbar waren. Und was die Hypothese eines genetisch begründeten Altruismus angeht, waren die Ergebnisse derart enttäuschend, daß sie heute niemand mehr öffentlich zu vertreten wagt. Man hat zwar nachweisen können, daß die Nervenzentren von Grausamkeit, moralischem Urteil und Altruismus im präfrontalen Cortex angesiedelt sind; aber die Untersuchungen erlaubten es nicht, über diese rein anatomische Feststellung hinauszugehen. Seit dem Auftauchen des Neo-Menschen hat es für die These vom genetischen Ursprung der moralischen Gefühle wenigstens dreitausend Beiträge gegeben, die alle von hochkarätigen Wissenschaftlern stammen; doch keiner dieser Beiträge hat diese These bisher experimentell nachweisen können. Darüber hinaus basieren die in Anlehnung an Darwin entwickelten Theorien, die das Auftauchen des Altruismus in Tiergesellschaften durch einen selektiven Vorteil für die Gesamtheit der Gruppe zu erklären suchen, auf einer Reihe von derart ungenauen, widersprüchlichen Berechnungen, daß sie schließlich in Vergessenheit geraten sind. Güte, Mitleid, Treue, Altruismus sind also in unserem Umfeld weiterhin unergründliche Geheimnisse, die auf den begrenzten Raum der körperlichen Hülle des Hundes
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