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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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würden wir den mysteriösen Blick erleben, den ein im Glück vereintes Paar gegenseitig erwidert, wenn es die Präsenz der Organe und die begrenzte Freude demütig akzeptiert; nie würden wir wirkliche Liebhaber sein.
    Es wurde natürlich immer schlimmer, und das Ideal plastischer Schönheit, das für sie jetzt unerreichbar geworden war, sollte Isabelle vor meinen Augen zerstören. Als erstes ertrug sie ihre Brüste nicht mehr (sie begannen tatsächlich ein wenig schlaffer zu werden); dann ihren Hintern, dem es ähnlich erging. Immer öfter bat sie mich, das Licht zu löschen; dann war es mit dem Sex ganz vorbei. Sie konnte sich nicht mehr ertragen; daher ertrug sie auch die Liebe nicht mehr, die ihr plötzlich falsch und gekünstelt vorkam. Dabei bekam ich wenigstens zu Anfang noch ab und zu einen Steifen; aber auch das hörte auf, und von dem Augenblick an war zwischen uns alles gesagt; wir brauchten uns nur noch die gespielt ironischen Worte des andalusischen Dichters ins Gedächtnis zu rufen:
    Ach, was für ein Leben die Menschen bloß führen1.
    Ach, was für ein Leben sie nur erdulden
    In der Welt, in der sie sind!
    Die Armen, die Armen … Sie wissen nicht zu lieben.
    Wenn die Sexualität verschwindet, wird der Körper des anderen fast zu etwas Feindlichem; die Geräusche, die Bewegungen, die Gerüche; und allein die Präsenz dieses Körpers, den man nicht mehr berühren und nicht mehr durch eine Umarmung heiligen kann, wird nach und nach zu etwas Störendem; all das ist leider hinreichend bekannt. Wenn die Erotik ihre Macht verliert, ist es auch bald mit der Zärtlichkeit vorbei. Es gibt keine geläuterte Beziehung, keine höhere Stufe der Seelenvereinigung und auch nichts, was dem nahekommen oder es auf spielerische Weise hervorrufen könnte. Wenn die körperliche Liebe vorbei ist, ist alles vorbei; und dann verrinnen die Tage in gereizter trostloser Eintönigkeit. Und was die körperliche Liebe anging, machte ich mir keine Illusionen. Jugend, Schönheit, Kraft: Die Kriterien der körperlichen Liebe sind dieselben wie bei den Nazis. Mit einem Wort, ich steckte ganz schön in der Scheiße.
    Auf der A2 zwischen Zaragossa und Tarragona, etwa fünfzig Meter von der Raststätte entfernt, wo Isabelle und ich zum Mittagessen haltgemacht hatten, bot sich uns eine Lösung an. Das Halten von Haustieren ist in Spanien noch nicht lange üblich. In dieser von Katholizismus, Machokultur und Gewalt gekennzeichneten Gesellschaft wurden Tiere bis vor kurzem gleichgültig, wenn nicht gar ausgesprochen grausam behandelt. Aber die fortschreitende Vereinheitlichung verschonte auch Spanien nicht, das sich allmählich den europäischen, insbesondere englischen Normen anglich. Die Homosexualität verbreitete sich immer mehr, wurde gesellschaftlich anerkannt; vegetarisches Essen und New-Age-Schnickschnack kamen in Mode; und Haustiere, die hier den hübschen Namen mascotas trugen, ersetzten nach und nach die Kinder in den Familien. Dieser Prozeß hatte allerdings gerade erst angefangen, und oft lief da noch einiges schief: Es kam häufig vor, daß ein junger Hund, den ein Kind als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte, ein paar Monate später irgendwo am Straßenrand ausgesetzt wurde. Und so bildeten sich auf den Ebenen im Landesinneren Meuten von streunenden Hunden. Ihr Dasein war elend und zumeist von kurzer Dauer. Sie wurden von Räude und Parasiten befallen, ernährten sich von dem, was sie in Mülltonnen an Raststätten fanden, und endeten im allgemeinen unter den Rädern eines Lastwagens. Sie litten vor allem grausam darunter, daß sie den Kontakt zu den Menschen verloren hatten. Da sie seit Jahrtausenden nicht mehr in einer Meute gelebt und statt dessen die Gesellschaft des Menschen gesucht hatten, gelang es den Hunden nie, sich wieder an das Leben in freier Wildbahn zu gewöhnen. Innerhalb der Meuten kam keine feste Rangordnung zustande, so daß es ständig Kämpfe um Nahrung oder den Besitz der Weibchen kam; die Jungtiere wurden sich selbst überlassen und manchmal von ihren älteren Brüdern verschlungen.
    Ich trank in jener Zeit immer mehr, und als ich nach meinem dritten Anisschnaps auf den Bentley zuging, sah ich erstaunt, wie Isabelle durch eine Zaunlücke schlüpfte und auf eine Gruppe von etwa zehn Hunden zuging, die auf einem öden Gelände in der Nähe des Parkplatzes herumlungerten. Ich wußte, daß sie ein wenig ängstlich veranlagt war, und diese Tiere standen im Ruf, gefährlich zu sein. Doch die Hunde sahen zu,

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