Die Mglichkeit einer Insel
Fleischeslust nur eine läßliche, nicht sehr schwerwiegende Sünde sei, die den Menschen nicht vom Weg des Heils abbringen könne, und daß nur Hochmut eine wirkliche Sünde sei. Wo war bei mir die Fleischeslust? Wo der Hochmut? Und war ich vom Weg des Heils abgekommen? Diese Fragen waren, wie mir schien, nicht schwer zu beantworten; nie hätte sich Pascal zum Beispiel dazu hinreißen lassen, derart Absurdes von sich zu geben: Wenn man ihn las, spürte man, daß ihm die Versuchungen des Fleisches nicht fremd waren und daß er für ein ausschweifendes Leben durchaus Verständnis aufbrachte; und daß der Grund, weshalb er sich für Christus und nicht für Unzucht oder Kartenspiele entschieden hatte, nicht darauf zurückzuführen war, daß er Zerstreuung suchte oder inkompetent war, sondern weil Christus für ihn eindeutig high dope war; kurz gesagt, er war ein seriöser Autor. Wenn man Erotika von Teilhard de Chardin gefunden hätte, hätte mich das in gewisser Hinsicht sicher erleichtert; aber ich glaubte nicht im geringsten daran. Was hatte er nur erlebt, mit wem hatte er nur verkehrt, dieser brave Teilhard de Chardin, um zu einer solch gutartigen, solch einfältigen Vorstellung von der Menschheit zu kommen — während zur gleichen Zeit im selben Land solch namhafte Fieslinge wie Celine, Sartre oder Genet ihr Unwesen trieben? Wenn man seine Widmungen und die Empfänger seiner Briefe unter die Lupe nimmt, kann man es nach und nach erraten: mehr oder weniger adlige katholische Wohlstandstussen, die oft dem Jesuitenorden nahestanden. Unschuldslämmer.
»Was brummelst du da?« unterbrach mich Isabelle. Erst jetzt merkte ich, daß wir das Haus des Deutschen verlassen hatten, am Meer entlanggingen und auf dem Heimweg waren. Seit zwei Minuten, berichtete sie mir, sei ich dabei, Selbstgespräche zu führen, und sie habe so gut wie nichts kapiert. Ich faßte das Problem kurz für sie zusammen.
»Es ist leicht, Optimist zu sein …«, schloß ich verbittert, »es ist leicht, Optimist zu sein, wenn man sich sein ganzes Leben lang mit einem Hund begnügt hat und keine Kinder haben wollte.«
»Dir geht's doch genauso, und trotzdem kann man nicht gerade behaupten, du seist ein Optimist …«, bemerkte sie. »Sie sind alt, das ist alles …«, fuhr sie nachsichtig fort. »Wenn man älter wird, braucht man Dinge, die einem Geborgenheit einflößen. Es ist beruhigend, sich vorzustellen, daß einen etwas Schönes im Himmel erwartet. Man macht sich schon ein wenig mit dem Tod vertraut, zumindest wenn man nicht zu blöd und nicht zu reich ist.«
Ich blieb stehen, betrachtete den Ozean, die Sterne. Diese Sterne, denen Harry seine durchwachten Nächte widmete, während Hildegard sich Free-Classic-Improvisationen von Mozartstücken hingab. Sphärenmusik, Sternenhimmel; das moralische Gesetz in meinem Herzen. Ich dachte über diesen Trip nach und was mich davon abhielt; die Nacht war jedoch so lau, daß ich Isabelle die Hand auf den Hintern legte — ich spürte ihn unter dem leichten Stoff ihres Sommerrocks sehr deutlich. Sie legte sich auf die Düne, zog ihren Slip aus und spreizte die Beine. Ich drang in sie ein — zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht. Sie blickte mir fest in die Augen. Ich erinnere mich noch genau an die Bewegungen ihrer Muschi, an ihre leisen Schreie gegen Ende. Ich erinnere mich auch deshalb so gut, weil es das letztemal war, daß wir miteinander schliefen.
Ein paar Monate vergingen. Es wurde wieder Sommer und dann Herbst; Isabelle machte keinen unglücklichen Eindruck. Sie spielte mit Fox, pflegte ihre Azaleen; ich schwamm viel und las noch einmal Balzac. Eines Abends, als die letzten Sonnenstrahlen auf das Anwesen fielen, sagte sie leise: »Du verläßt mich bald wegen einer jüngeren …«
Ich erwiderte protestierend, daß ich sie nie betrogen hätte. »Ich weiß…«, antwortete sie. »Irgendwann habe ich geglaubt, es sei soweit: Du würdest eine dieser Miezen, die ständig bei uns in der Redaktion auftauchten, vögeln und dann wieder zu mir zurückkommen, wieder eine andere Mieze vögeln und so fort. Ich hätte furchtbar darunter gelitten, aber vielleicht wäre das letztlich doch besser gewesen.«
»Ich habe es einmal versucht, aber das Mädchen wollte nicht.« Ich erinnere mich, daß ich an jenem Morgen sogar am Lycee Fenelon vorbeigegangen bin. In der Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden, die Mädchen waren vierzehn oder fünfzehn, und alle waren hübscher und begehrenswerter als Isabelle, nur
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