Die Mglichkeit einer Insel
in dieser Welt steht niemand einem anderen nah, und selbst die Anmache müder, halbwegs williger Serviererinnen, die ihre Hängebrüste in einem hautengen T-Shirt mit der Aufschrift »Naughty Girl« zur Schau stellten, konnte, wie ich wußte, nur ausnahmsweise zu einem viel zu schnellen, käuflichen Koitus führen. Ich konnte zur Not eine Schlägerei mit einem Fernfahrer beginnen und mir, umgeben von Dieselschwaden, die Zähne auf einem Parkplatz ausschlagen lassen; das war im Grunde die einzige Möglichkeit für mich, in dieser Welt ein Abenteuer zu erleben. Ich verbrachte über zwei Monate in dieser Umgebung, verschleuderte mehrere tausend Euro mit französischem Champagner, den ich stumpfsinnigen Rumäninnen ausgab, die sich zehn Minuten später trotzdem weigerten, mir ohne Pariser einen zu blasen. Auf der Autovia Mediterraneo, und zwar genau an der Ausfahrt Totana Sur, beschloß ich, mit dieser unerquicklichen Herumfahrerei aufzuhören. Ich hatte meinen Wagen in der letzten freien Lücke auf dem Parkplatz des Hotels und Restaurants Los Camioneros abgestellt und ging in die Bar, um ein Glas Bier zu trinken; die Atmosphäre war genau die gleiche wie in all den Lokalen, die ich in den vorangegangenen Wochen erlebt hatte, und ich verbrachte dort etwa zehn Minuten, ohne meine Aufmerksamkeit auf irgend etwas zu richten, und spürte nur eine allgemeine stumpfe Bedrückung, die meine Bewegungen noch müder und unsicherer werden ließ und ihnen eine gewisse Verdauungsschwere verlieh. Als ich hinausging, stellte ich fest, daß ein Chevrolet Corvette quer vor meinem Wagen parkte und ich nicht herausfahren konnte. Der Gedanke daran, in die Bar zurückzukehren, um den Besitzer zu finden, machte mich völlig mutlos; ich lehnte mich an ein Betongeländer und versuchte, mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen, und rauchte vor allem eine Zigarette nach der anderen. Unter allen auf dem Markt erhältlichen Sportwagen entspricht der Chevrolet Corvette aufgrund seiner unnötig aggressiven, markanten Form, seiner nicht sehr anspruchsvollen Mechanik und seines relativ erschwinglichen Preises vermutlich am besten dem, was man ein Angeberauto nennt; auf was für einen erbärmlichen andalusischen Macho würde ich stoßen? Wie alle Männer seines Schlags kannte sich der Typ vermutlich sehr gut mit Autos aus und wußte daher genau, daß mein Wagen, der viel unscheinbarer war als seiner, dreimal so teuer war. Zu seinem machohaften Getue, das sich darin ausdrückte, daß er mir die Ausfahrt versperrt hatte, kam vermutlich noch ein gewisser Klassenhaß hinzu, und so mußte ich mit dem Schlimmsten rechnen. Es kostete mich eine dreiviertel Stunde und ein halbes Päckchen Camel, ehe ich den Mut fand, in die Bar zurückzugehen.
Ich entdeckte den Mann sofort: Er saß in sich zusammengesunken am äußersten Ende der Theke vor einer Untertasse mit Erdnüssen, ließ sein Bier warm werden und warf ab und zu einen verzweifelten Blick auf den riesigen Fernsehbildschirm, auf dem Mädchen in superkurzen Shorts ihr Becken zum Klang eines ziemlich langsamen Grooves hin und her bewegten; es handelte sich offensichtlich um eine Schaumparty, der Hintern der Mädchen zeichnete sich immer deutlicher unter ihren Shorts ab, und der Mann wurde immer verzweifelter. Er war klein, dickbäuchig, glatzköpfig, trug einen Anzug mit Krawatte und war vermutlich um die Fünfzig, mich überkam eine Welle des Mitleids und der Trauer; für so einen Typen dürfte auch ein Chevrolet Corvette wohl kaum ausreichen, um Miezen aufzureißen , das Auto würde ihn eher als alten Spießer ausweisen, und ich begann den Mut zu bewundern, den er jeden Tag aufbrachte, trotz allem einen Chevrolet Corvette zu fahren. Eine Frau, die relativ jung und sexy war, mußte einfach losplatzen, wenn sie diesen Gartenzwerg aus einem Chevrolet Corvette aussteigen sah! Dennoch mußte ich die Angelegenheit irgendwie zu Ende bringen, und so ging ich lächelnd und mit aller Nachsicht, zu der ich mich fähig fühlte, auf ihn zu. Wie ich befürchtete hatte, zeigte er sich zunächst streitlustig und versuchte, die Serviererin in die Sache hineinzuziehen — doch diese hob nicht einmal die Augen und spülte weiter ihre Gläser. Dann warf er mir einen zweiten Blick zu, und was er sah, schien ihn wohl zu besänftigen — ich fühlte mich selbst so alt, so müde, so unglücklich, so mittelmäßig, daher kam er wohl irgendwie zu dem Schluß, daß der Besitzer des Mercedes SL ebenfalls ein looser sei,
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