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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Anzahl sowohl ästhetischer als auch funktioneller Elemente zurück, daß es sehr schwer zu entscheiden ist, welches das schmerzhafteste Element war, und in den meisten Fällen ist es so gut wie unmöglich, einen eindeutigen Grund für die letzte Entscheidung anzugehen.
    Für die Männchen scheint die Situation völlig anders gewesen zu sein. Obwohl sie ebenso vielen, wenn nicht noch zahlreicheren ästhetischen und funktionellen Verfallserscheinungen ausgesetzt waren als die Weibchen, gelang es ihnen doch, diese zu bezwingen, solange ihnen die erektile Fähigkeit des Penis noch erhalten blieb. Wenn diese jedoch unwiderruflich erlahmt war, kam es im allgemeinen innerhalb der anschließenden zwei Wochen zum Selbstmord.
    Dieser Unterschied erklärt anscheinend eine seltsame statistische Diskrepanz, die bereits Daniel3 festgestellt hat: Das durchschnittliche Todesalter der Weibchen in den letzten Generationen des Menschengeschlechts war 54,1, das der Männchen dagegen 63,2.«
     
     

Daniel1,9
    »Was du Traum nennst,
    ist für den Krieger Wirklichkeit.«
    André Bercoff
    Ich verkaufte den Bentley, weil er mich zu sehr an Isabelle erinnerte und sein auffälliges Äußeres mich allmählich störte, und kaufte mir statt dessen einen Mercedes SL 600 — einen Wagen, der zwar ebenso teuer war, aber weniger protzig wirkte. Alle reichen Spanier fuhren einen Mercedes — die Spanier waren keine Snobs, sie warfen ihr Geld auf ganz normale Weise zum Fenster hinaus. Außerdem hat ein Cabrio größeren Erfolg bei den Weibern —die man hier chicas nannte, eine Bezeichnung, die mir gut gefiel. Die Anzeigen in La Voz de Almeria waren unzweideutig: piel dorada, culito melocotòn, guapisima, boca supersensual, labios expertos, muy simpàtica, complaciente. Eine wirklich schöne, ausdrucksvolle Sprache, die sich gut für Poesie eignet — fast alles läßt sich reimen. Und für Männer, die Schwierigkeiten hatten, sich diese Beschreibungen bildlich vorzustellen, gab es auch Nuttenbars. Die Mädchen sahen gut aus, sie entsprachen dem Text der Anzeige und hielten die vereinbarten Preise ein; was den Rest anging, na ja. Sie stellten den Fernseher oder den CD-Player viel zu laut und dämpften das Licht so stark wie möglich, mit anderen Worten, sie versuchten abzuschalten; sie fühlten sich für diesen Job nicht sonderlich berufen, das war klar. Man konnte sie natürlich zwingen, die Musik leiser oder das Licht heller zu stellen, schließlich erwarteten sie ein Trinkgeld, und all diese Dinge zählen. Es gibt sicher Leute, die solche Bedingungen affengeil finden, ich kann sie mir sehr gut vorstellen, aber ich gehörte eben nicht dazu. Außerdem stammten die meisten Mädchen aus Rumänien, Weißrußland oder aus der Ukraine, also aus einem dieser verrückten Länder, die durch die Auflösung des Ostblocks entstanden waren; und man kann nicht gerade sagen, daß der Kommunismus das Zartgefühl in den menschlichen Beziehungen sonderlich gefördert hätte: Bei den Ex-Kommunisten ist vielmehr im allgemeinen die Brutalität stärker ausgeprägt — im Vergleich dazu wirkt die Gesellschaft, die Balzac beschreibt und die aus dem Zerfall des Königtums entstanden ist, wie ein Wunder an Barmherzigkeit und Sanftheit. Man tut gut daran, den Doktrinen, die Brüderlichkeit propagieren, zu mißtrauen.
    Erst nachdem Isabelle mich verlassen hatte, entdeckte ich wirklich die Welt der Männer, und zwar auf absurden Irrfahrten über fast leere Autobahnen in Mittel- und Südspanien. Familien und Paare trifft man nur an Wochenenden und zu Beginn der Ferien auf den Autobahnen an, die übrige Zeit sind sie ein Reich, das fast ausschließlich Männern vorbehalten ist — Vertretern und Lastwagenfahrern —, eine trübselige, gewalttätige Welt, in der sich Lesbares auf Porno- und Motorsportzeitschriften beschränkt und in der die Drehständer aus Plastik eine Auswahl an DVDs unter dem Titel »Tus mejores peliculas« anbieten, mit der man im allgemeinen höchstens seine Sammlung von Dirty debutantes vervollständigen kann. Man hört wenig von dieser Welt, aber es läßt sich auch nicht viel über sie sagen; sie hat keine neuen Verhaltensweisen hervorgebracht, liefert keinen brisanten Stoff für Illustrierte, kurz gesagt, es ist eine relativ unbekannte Welt, die es auch nicht verdient, bekannter zu werden. Ich schloß während dieser Wochen keinerlei Freundschaft mit anderen Männern und fühlte mich auch sonst niemandem besonders nah, aber das war nicht schlimm, denn

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