Die Mglichkeit einer Insel
paar Tage darauf teilte mir Isabelle dann mit, daß sie beschlossen hatte, mich zu verlassen. »Ich will dir nicht zur Last fallen«, sagte sie. »Ich wünsche dir, daß du das Glück findest, das du verdienst«, setzte sie hinzu — ich frage mich noch heute, ob das eine Gehässigkeit war oder nicht.
»Und was hast du vor?« fragte ich.
»Ich gehe wahrscheinlich zu meiner Mutter zurück … Das tun die Frauen in meiner Situation im allgemeinen doch, oder?«
Das war das einzige Mal, daß sie sich eine leichte Verbitterung anmerken ließ. Ich wußte, daß ihr Vater ihre Mutter vor gut zehn Jahren wegen einer jüngeren Frau verlassen hatte; diese Tendenz nahm zwar zu, aber das war im Grunde auch nichts Neues.
Wir benahmen uns wie ein zivilisiertes Paar. Ich hatte insgesamt zweiundvierzig Millionen Euro verdient. Isabelle begnügte sich mit der Hälfte dessen, was ich seit unserer Eheschließung hinzuverdient hatte, ohne Ansprüche auf Entschädigung zu stellen. Das waren immerhin sieben Millionen Euro; sie brauchte nicht in Armut zu leben.
»Du könntest doch ein bißchen Sextourismus machen …«, brachte ich vor. »In Kuba gibt es sehr nette Typen.«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir haben eine Schwäche für sowjetische Schwule…«, sagte sie in leichtfertigem Ton und imitierte dabei kurz jenen Stil, der mir zu Ruhm verholfen hatte. Dann wurde sie wieder ernst und blickte mir fest in die Augen (es war ein sehr ruhiger Morgen; das Meer war blau und spiegelglatt).
»Bist du immer noch nicht mit einer Nutte zusammengewesen?« fragte sie.
»Nein.«
»Na siehst du, ich auch nicht.«
Sie zitterte trotz der Hitze, senkte die Augen und hob sie dann wieder.
»Dann hast du also seit zwei Jahren nicht mehr gevögelt?« fuhr sie fort.
»Nein.«
»Na siehst du, ich auch nicht.«
O ja, wir waren wirklich zwei unschuldige Lämmer, zwei unschuldige sentimentale Lämmer; und daran sollten wir zugrundegehen.
Dann kam der letzte Morgen, der letzte Spaziergang; das Meer war noch immer genauso blau, die Felsen der Steilküste genauso schwarz, und Fox lief neben uns her. »Ich nehme ihn mit«, hatte Isabelle sofort gesagt. »Schließlich war er viel länger mit mir zusammen, aber du kannst ihn dir holen, wann du willst.« Zivilisierter ging es nicht.
Alles war schon in Kartons verpackt, und der Möbelwagen würde am folgenden Morgen kommen, um ihre Sachen nach Biarritz zu transportieren — obwohl ihre Mutter Lehrerin gewesen war, hatte sie seltsamerweise beschlossen, ihren Lebensabend in dieser Gegend zu verbringen, in der es von stinkreichen Schickeriaschachteln wimmelte, die sie abgrundtief verachteten.
Wir warteten noch gemeinsam eine Viertelstunde auf das Taxi, das sie zum Flughafen bringen sollte. »Ach, das Leben geht schnell vorbei …« sagte sie. Sie sagte das wohl eher zu sich selbst, wie mir schien; ich entgegnete nichts. Als sie im Taxi saß, winkte sie mir noch einmal zu. Ja; jetzt würde alles sehr ruhig werden.
Daniel24,8
Es ist im allgemeinen nicht üblich, die menschlichen Lebensberichte zu kürzen, egal wie groß der Ekel oder die Langeweile sein mag, die ihr Inhalt bei uns auslöst. Denn gerade diesen Ekel oder diese Langeweile müssen wir in uns entwickeln, um uns vom Menschengeschlecht zu unterscheiden. Nur unter dieser Voraussetzung ist, wie die Höchste Schwester uns gemahnt hat, die Ankunft der Zukünftigen möglich.
Der Grund dafür, daß ich von dieser Regel abweiche, die seit Daniel17 ununterbrochen eingehalten worden ist, liegt darin, daß die darauffolgenden neunzig Seiten des Manuskripts von Daniel durch die wissenschaftliche Entwicklung überholt, wenn nicht gar widerlegt worden sind. Zu der Zeit, in der Daniel1 lebte, wurde die männliche Impotenz häufig auf psychologische Faktoren zurückgeführt; heute wissen wir, daß es sich im wesentlichen um ein hormonales Phänomen handelte, bei dem psychologische Faktoren nur eine verschwindend geringe und jederzeit rückgängig zu machende Rolle gespielt haben.
Die auf neunzig Seiten festgehaltenen qualvollen Betrachtungen über den Verfall der Männlichkeit, die von der deprimierenden pornographischen Beschreibung misslungener Versuche mit verschiedenen andalusischen Prostituierten durchsetzt sind, können uns dennoch eine Lehre vermitteln, die Daniel17 in den folgenden Zeilen, die ich seinem Kommentar entnehme, treffend zusammengefaßt hat:
»Das Altern der Menschenweibchen ging im Grunde auf den Verfall einer so hohen
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