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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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gleichsam ein Leidensgefährte, und von da an versuchte er die Solidarität unter Männern herauszukehren, spendierte mir ein Bier, dann ein zweites und schlug mir vor, den Abend mit ihm im »New Orleans« zu beenden. Um ihn loszuwerden, behauptete ich, daß ich noch eine lange Fahrt vor mir habe — ein Argument, das Männer im allgemeinen respektieren. In Wirklichkeit waren es keine fünfzig Kilometer bis zu mir, und mir war gerade klargeworden, daß ich mein road movie genausogut zu Hause fortsetzen konnte.
    Mein Anwesen war nur ein paar Kilometer von der Autobahn entfernt, und an der Ausfahrt gab es ein ähnliches Lokal. Wenn ich das »Diamond Nights« verließ, fuhr ich anschließend meistens an den Strand von Rodalquilar. Ich rollte in meinem Mercedes SL 600 über den Sand und drückte auf einen Knopf, um das Dach zu öffnen: Nach zweiundzwanzig Sekunden saß ich in einem offenen Wagen. Es war ein herrlicher, fast immer menschenleerer Strand von geometrischer Plattheit mit makellosem Sand, umgeben von steilen, schwarz glänzenden Felswänden; ein Mann mit echtem künstlerischem Talent hätte sicher aus dieser Einsamkeit, dieser Schönheit etwas machen können. Ich dagegen fühlte mich angesichts des Unendlichen wie ein Floh auf einer Wachstuchdecke. Diese Schönheit, diese herrlichen geologischen Formationen, all das war mir letztlich scheißegal, ich fand sie sogar leicht bedrohlich. »Die Welt ist kein Panorama«, schreibt Schopenhauer trocken. Ich hatte wohl der Sexualität eine zu große Bedeutung eingeräumt, das ließ sich nicht leugnen; aber der einzige Ort auf der Welt, an dem ich mich je wirklich wohlgefühlt hatte, war in den Armen einer Frau, wenn ich tief in ihrer Scheide steckte; und ich sah keinen Grund, warum sich das in meinem Alter ändern sollte. Daß es überhaupt so etwas wie eine Muschi gab, war schon als solches eine Segnung, sagte ich mir, und allein die Tatsache, daß ich mich darin verkriechen konnte und mich dabei wohl fühlte, war Grund genug, um diesen beschwerlichen Weg fortzusetzen. Andere hatten nicht so viel Glück gehabt. »In Wirklichkeit behagt mir nichts auf dieser Erde«, schrieb Kleist in sein Tagebuch, kurz bevor er sich am Ufer des Wannsees das Leben nahm. Ich dachte oft an Kleist in diesen Tagen; ein paar Verse von ihm sind in seinen Grabstein gemeißelt:
    Nun
    O Unsterblichkeit
    Bist du ganz mein.
    Ich hatte im Februar eine Wallfahrt dorthin unternommen. Es lagen zwanzig Zentimeter Schnee, kahle schwarze Zweige krümmten sich unter dem grauen Himmel, die Atmosphäre hatte etwas Kriecherisches. Jeden Tag lag ein frischer Blumenstrauß auf seinem Grab; ich habe nie den Menschen getroffen, der ihn dort hinlegte. Goethe war Schopenhauer begegnet, war Kleist begegnet, ohne die beiden wirklich zu verstehen; preußische Pessimisten, so hatte er die beiden abgestempelt. Die Gedichte von Goethes Italienreise fand ich schon immer zum Kotzen. Mußte man unter einem einförmig grauen Himmel geboren sein, um sie zu verstehen? Das bezweifle ich; der Himmel war strahlend blau, und auf den steilen Felsen von Carboneras wuchs nicht einmal ein Grashalm; das änderte so gut wie nichts. Nein, ich übertrieb nicht die Bedeutung, die die Frauen für mich hatten. Und außerdem, der Koitus… die geometrische Evidenz.
    Ich hatte Harry erzählt, daß Isabelle »verreist« sei; sie war nun schon seit sechs Monaten fort, aber er schien sich nicht darüber zu wundern und hatte anscheinend sogar ihre Existenz vergessen; ich glaube, daß er sich im Grunde nur wenig für Menschen interessierte. Ich erlebte wieder eine Diskussion mit Robert dem Belgier mit, die in ähnlichem Rahmen verlief wie die erste; und dann eine dritte, aber diesmal hatten die Belgier ihren Sohn Patrick mitgebracht, der gemeinsam mit seiner Freundin Fadiah, einer Negerin mit einer supergeilen Figur, eine Woche bei ihnen verbrachte. Patrick mochte etwa fünfundvierzig sein und arbeitete bei einer Bank in Luxemburg. Er machte sofort einen guten Eindruck auf mich, auf jeden Fall wirkte er nicht so dumm wie seine Eltern — später erfuhr ich, daß er einen Posten mit hoher Verantwortung bekleidete und viel Geld verwaltete. Fadiah war höchstens fünfundzwanzig, und es war schwierig, etwas über sie zu sagen, was über die rein erotische Ebene hinausging; das schien sie im übrigen nicht sonderlich zu stören. Ihre Brüste waren nur zum Teil von einem knappen weißen Band bedeckt, und sie trug einen hautengen Minirock, das war so

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