Die Mglichkeit einer Insel
den Nebel zu sehen — der Nebel hatte mir immer geholfen. Die Skilifte im Nebel. Zwischen zwei ethnischen Kriegen brachten sie es also fertig, Ski zu laufen — na ja, man muß ja seine Streckmuskeln trainieren, sagte ich mir und dachte mir einen Sketch mit zwei Folterern aus, die in einem Zagreber Fitneßcenter Tips austauschten, wie man sich in Form hielt. Das war zuviel, ich konnte es einfach nicht lassen: Ich war ein Clown, ich würde ein Clown bleiben, und ich würde als Clown verrecken — haßerfüllt und unter Zuckungen.
Ich nannte im stillen die Elohimiten die Sehr Gesunden, weil sie tatsächlich sehr gesund lebten. Sie wollten nicht altern; aus diesem Grund rauchten sie nicht, nahmen Mittel gegen freie Radikale und andere Sachen ein, die man im allgemeinen in Reformhäusern findet. Drogen waren eher verpönt. Alkohol in Form von Rotwein war erlaubt — zwei Gläser pro Tag. Sie waren ziemliche Schonkostfreaks, wenn man so will. Diese Anweisungen, wie der Prophet nachdrücklich erklärte, hatten keinerlei moralischen Hintergrund. Die Gesundheit, das war das Ziel. Alles, was gesund war, und insbesondere alles, was mit Sex zu tun hatte, war erlaubt. Auf ihrer Website und in den Broschüren kam das deutlich zum Ausdruck: netter, etwas fader Kitsch, beeinflußt von den Präraffaeliten, mit einem Hang zu dicken Titten im Stil von Walter Girotto. Männliche oder weibliche Homosexualität wurde ebenfalls, wenn auch in geringerem Maße, in den Illustrationen berücksichtigt: Der Prophet selbst war eindeutig heterosexuell, hatte aber keinerlei Vorurteile gegen die Homosexualität. Arsch oder Möse — für den Propheten war alles gut. Er empfing mich persönlich, ganz in Weiß gekleidet, mit ausgestreckter Hand auf dem Flughafen von Zwork. Ich war ihr erster richtiger VIP, und daher gab er sich etwas Mühe. Sie hatten bisher nur einen ganz kleinen VIP, einen Franzosen übrigens, einen Künstler namens Vincent Greilsamer. Er hatte immerhin einmal im Centre Beaubourg ausgestellt — aber selbst Bernard Branxene hatte im Centre Beaubourg ausgestellt. Na ja, er war eben ein ganz kleiner VIP, ein VIP der Kategorie Bildende Kunst. Ein netter Mensch im übrigen. Und vermutlich ein guter Künstler, wovon ich gleich überzeugt war, als ich ihn sah. Er hatte ein scharfgeschnittenes, intelligentes Gesicht und einen seltsam durchdringenden, fast mystisch wirkenden Blick; doch er drückte sich ganz normal und intelligent aus, wägte jedes Wort ab. Ich hatte keine Ahnung, was er machte, ob Videos, Rauminstallationen oder sonst was, aber man spürte, daß dieser Typ wirklich arbeitete. Wir beiden waren die einzigen erklärten Raucher —was uns, abgesehen von unserem Status als VIP, einander näherbrachte. Allerdings rauchten wir nicht in Gegenwart des Propheten; aber während der Vorträge gingen wir ab und zu nach draußen, um eine zu qualmen, das wurde bald stillschweigend akzeptiert. Ach ja, die VIPitüde.
Ich hatte gerade Zeit genug, meinen Koffer auszupacken und mir einen löslichen Kaffee aufzugießen, ehe der erste Vortrag begann. Wenn man an den »Lehrveranstaltungen« teilnehmen wollte, gehörte es sich, daß man eine lange weiße Tunika über die normale Kleidung streifte. Ich kam mir natürlich etwas lächerlich vor, als ich das Ding anzog, aber es dauerte nicht lange, bis ich den Vorteil dieser Aufmachung begriff. Das Hotel war ziemlich kompliziert angelegt, mit verglasten Verbindungsfluren zwischen den Gebäuden, Etagen auf halber Höhe, unterirdischen Gängen, und alle Hinweisschilder waren in einer seltsamen Sprache verfaßt, die irgendwie ans Walisische erinnerte und von der ich sowieso kein Wort verstand, so daß ich eine halbe Stunde brauchte, ehe ich den Weg fand. Während dieser Zeit begegnete ich etwa zwanzig Leuten, die wie ich über leere Flure irrten und wie ich lange weiße Gewänder trugen. Als ich im Konferenzsaal ankam, hatte ich den Eindruck, mich auf eine geistige Übung einzulassen — dabei hatte dieses Wort nie einen Sinn für mich gehabt und hatte übrigens noch immer keinen. Die Sache hatte keinen Sinn, aber ich nahm daran teil. Kleider machen Leute.
Der Redner dieses Tages war ein großer, hagerer, kahlköpfiger Typ von eindrucksvollem Ernst — wenn er versuchte, ein scherzhaftes Wort anzubringen, machte mir das eher angst. Ich nannte ihn im stillen Professor, und er war tatsächlich Neurologe an einer Kanadischen Universität. Zu meiner großen Überraschung war das, was er sagte,
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