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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Meter hohen soliden Metallzaun, der von Stacheldraht umgeben war und sich endlos hinzuziehen schien. Zwei mit Schnellfeuergewehren bewaffnete Wächter patrouillierten hinter dem Tor, das offensichtlich der einzige Zugang war. Patrick gab ihnen ein Zeichen, sie schlossen das Tor auf, kamen auf uns zu und musterten mich genau, ehe sie uns passieren ließen. »Das ist unerläßlich …«, sagte Patrick mit unverändert ätherischer Stimme zu mir. »Du weißt ja, die Journalisten …«
    Die ungeteerte, aber gut instand gehaltene Straße führte durch eine ebene, staubige Zone voller kleiner roter Steine. In dem Augenblick, als ich in der Ferne ein weißes Zeltdorf entdeckte, bog Patrick nach links in Richtung eines auf einer Seite ausgehöhlten steilen Felshangs ein, der aus dem gleichen schwarzen, vermutlich vulkanischen Gestein war, das ich schon kurz zuvor bemerkt hatte. Nach zwei oder drei Serpentinen stellte er den Wagen auf einem kleinen befestigten Platz ab, und wir mußten zu Fuß weitergehen. Trotz meines Protests ließ er sich nicht davon abbringen, meinen Koffer zu tragen, der ziemlich schwer war. »Nein, nein, ich bitte dich … Du bist unser Gast und ein VIP …« Er bemerkte das zwar in scherzhaftem Ton, aber irgendwas sagte mir, daß er das durchaus ernst meinte. Wir gingen an einem knappen Dutzend Höhlen entlang, die in die Felswand gehauen waren, ehe wir wieder einen kleinen Platz kurz vor dem Gipfel des Hügels erreichten. Eine etwa drei Meter breite und zwei Meter hohe Öffnung führte zu einer Höhle, die viel geräumiger war als die anderen; auch dort standen zwei bewaffnete Wächter vor dem Eingang.
    Als erstes gelangten wir in einen viereckigen Saal mit kahlen Wänden und einer Seitenlänge von etwa zehn Metern, in dem sich nur ein paar Klappstühle befanden, die vor den Wänden standen; dann folgten wir einem Wächter durch einen Gang, der von hohen säulenförmigen Stehlampen erhellt war, wie sie in den siebziger Jahren in Mode waren: In einer zähflüssigen leuchtenden Flüssigkeit von gelber, türkisgrüner, rötlicher oder violetter Farbe bildeten sich dicke Blasen, die langsam durch die leuchtende Säule nach oben stiegen und verschwanden.
    Die Gemächer des Propheten waren ebenfalls im Stil der siebziger Jahre eingerichtet: Ein dicker orangefarbener Teppichboden mit gezackten bläulichen Streifen und niedrige, mit Pelzen bedeckte Sofas, die in unregelmäßiger Anordnung im Raum standen. Im hinteren Teil führten mehrere breite Stufen zu einem drehbaren Relaxsessel aus rosa Leder mit eingebauter Fußstütze; der Sessel war leer. Dahinter erkannte ich das Bild wieder, das in Zwork im Eßzimmer des Propheten gehangen hatte — inmitten eines Gartens, der wohl den Paradiesgarten darstellen sollte, betrachteten zwölf mit durchsichtigen Gewändern bekleidete Mädchen den Propheten voller Bewunderung und Begehren. Das war lächerlich, wenn man so will, aber nur in dem — letztlich begrenzten — Maß, wie etwas rein Sexuelles lächerlich sein kann; der Humor und das Gefühl des Lächerlichen (ich war immerhin bezahlt, sogar gut bezahlt worden, um das zu wissen) können nur dann einen echten Triumph erzielen, wenn sie etwas aufs Korn nehmen, das bereits ziemlich angeschlagen ist. wie etwa die Frömmigkeit, der Hang zur Sentimentalität, die Opferbereitschaft oder das Ehrgefühl usw.; den tiefer gelagerten egoistischen oder animalischen Trieben des menschlichen Verhaltens dagegen können sie nichts anhaben. Wie dem auch sei, dieses Bild war so schlecht gemalt, daß ich erst nach einiger Zeit in den realen Mädchen, die auf den Stufen saßen und versuchten, mehr oder weniger die gleiche Pose einzunehmen — sie waren wohl von unserer Ankunft unterrichtet worden —, die Modelle wiedererkannte, doch die Ähnlichkeit mit dem Bild war nur unvollkommen: Einige von ihnen trugen zwar die gleichen durchsichtigen, griechisch anmutenden Gewänder, die bis zur Taille geschürzt waren, andere dagegen hatten sich für trägerlose Tops und Strapshalter aus schwarzem Latex entschieden; alle hatten auf jeden Fall einen unverhüllten Venushügel. »Das sind die Bräute des Propheten …«, sagte Patrick respektvoll zu mir.
    Dann erklärte er mir, daß diese Erwählten das Vorrecht hatten, ständig in der Nähe des Propheten zu leben; alle hatten ein Zimmer in seiner Residenz in Kalifornien. Sie vertraten alle Rassen der Erde und waren aufgrund ihrer Schönheit dazu bestimmt, ausschließlich in den Dienst der

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