Die Mglichkeit einer Insel
mit großem Vergnügen tat; sein Gesicht erhellte sich allmählich, und er sagte mir, er freue sich für mich, und ich spürte, daß es ernst gemeint war. Die Zuneigung zwischen Männern ist eine schwierige Sache, weil sie zu nichts Konkretem führen kann, sie ist etwas Unwirkliches, Angenehmes, das aber immer auch ein wenig schmerzhaft ist; zehn Minuten später ging er wieder, ohne daß er mir das Geringste aus seinem Leben erzählt hatte. Ich legte mich in der Dunkelheit hin und dachte über die psychologische Strategie des Propheten nach, die mir unverständlich blieb. Würde er mir eine seiner Anhängerinnen zum Geschenk machen, damit ich sexuelle Zerstreuung hatte? Er zögerte vermutlich, hatte wohl nicht viel Erfahrung im Umgang mit VIPs. Ich sah der Sache ruhig entgegen: Ich hatte noch am heutigen Morgen mit Esther geschlafen, es war noch länger und schöner gewesen als gewöhnlich; ich hatte überhaupt keine Lust auf eine andere Frau und war mir nicht einmal sicher, ob ich mich gegebenenfalls für sie interessieren würde. Im allgemeinen betrachtet man Männer als Pimmel auf zwei Beinen, imstande, eine x-beliebige Frau zu vögeln, vorausgesetzt, sie ist aufreizend genug, ohne daß irgendwelche Gefühlsgründe dabei eine Rolle spielen; dieses Bild mag im großen und ganzen zutreffen, ist aber ein wenig übertrieben. Susan war ohne Zweifel bezaubernd, aber als ich sah, wie sie dem Propheten den Schwanz ablutschte, hatte ich keinerlei Adrenalinschub gespürt, keinerlei affenähnliches Rivalitätsempfinden; was mich anging, hatte die Sache ihre Wirkung verfehlt, und ich war von einer ungewöhnlichen Ruhe erfüllt.
Ich wachte gegen fünf Uhr morgens auf, kurz bevor es hell wurde, wusch mich von Kopf bis Fuß und schloß das Ganze mit einer eiskalten Dusche ab; ich hatte den Eindruck, daß mir ein entscheidender Tag bevorstand, ein Eindruck, der sich nur schwer begründen ließ und sich schließlich auch als falsch herausstellte. Ich kochte mir einen Kaffee, den ich auf der Terrasse trank, und beobachtete dabei das Zeltlager, in dem es sich allmählich regte; ein paar Anhänger gingen auf die Waschräume zu. Im Licht des anbrechenden Tages wirkte die steinige Ebene dunkelrot. In östlicher Richtung sah ich in weiter Ferne den Metallzaun, das umfriedete Gelände der Sekte umfaßte eine Fläche von mindestens zehn Quadratkilometern. Plötzlich entdeckte ich ein paar Meter unterhalb der Terrasse Vincent, der mit Susan den gewundenen Weg hinabging. Sie blieben auf dem kleinen Platz stehen, wo wir am Vortag den Minivan geparkt hatten. Vincent fuchtelte mit den Händen und schien sie zu etwas überreden zu wollen, doch er sprach mit leiser Stimme, und ich war zu weit entfernt, um etwas zu verstehen; sie blickte ihn ruhig an, aber ihr Gesichtsausdruck blieb unbewegt. Als sie den Kopf wandte, sah sie, daß ich sie beide beobachtete, und legte Vincent die Hand auf den Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen; ich zog mich nachdenklich in meine Höhle zurück. Ich hatte den Eindruck, daß Vincent wenig Chancen hatte: Diese junge Frau mit dem klaren Blick, den anscheinend nichts verunsichern konnte, dem gesunden, athletischen Körper einer protestantischen Sportlerin wirkte wie die geborene Fanatikerin: Man hätte sie sich genausogut in einer radikalen evangelistischen Bewegung oder einer Splittergruppe von deep ecology vorstellen können; unter den gegebenen Umständen dürfte sie jedoch mit Leib und Seele dem Propheten ergeben sein, und nichts würde sie dazu bringen können, ihr Gelübde zu brechen, ausschließlich dem Propheten sexuell zu Diensten zu stehen. Da begriff ich, warum ich nie einen Sketch über Sekten verfaßt hatte: Es ist leicht, ironische Bemerkungen über Menschen zu machen und sie als burleske Automaten zu betrachten, wenn sie von Habgier oder sexuellem Begehren angetrieben werden; wenn sie jedoch den Eindruck vermitteln, von tiefem Glauben oder von einer Sache beseelt zu sein, die über den Überlebensinstinkt hinausgeht, dann kommt Sand ins Getriebe, und das Lachen erstickt schon vom Ansatz her.
Nacheinander kamen die Anhänger in weißen Gewändern aus ihren Zelten und gingen auf die Öffnung zu, die unten in den Felskegel gemeißelt war und die zu einer riesigen natürlichen Höhle führte, in der die Kurse abgehalten wurden. Viele Zelte schienen mir leer zu sein; tatsächlich sollte ich ein paar Minuten später im Verlauf eines Gesprächs, das ich mit Flic hatte, erfahren, daß in diesem Jahr nur
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