Die Mglichkeit einer Insel
nehmen wird. Die künftigen Menschen werden direkt im Körper eines Erwachsenen auf die Welt kommen, einem Körper von achtzehn Jahren, und dieses Modell wird anschließend reproduziert; in dieser Idealform werden diese, und auch Sie und ich, wenn meine Forschungsarbeit so schnell vorankommt, wie ich hoffe, die Unsterblichkeit erreichen. Das Klonen ist nur eine primitive Methode, die die natürliche Fortpflanzungsweise direkt nachahmt; die Entwicklung des Fötus im Uterus hat keinerlei Vorzüge, im Gegenteil, sie führt leicht zu Mißbildungen oder Geburtsfehlern; sobald wir über das Bauschema und die erforderliche Materie verfügen, wird sie zu einer überflüssigen Etappe.
Was das menschliche Gehirn betrifft«, fuhr er fort, »und darauf möchte ich Sie ausdrücklich aufmerksam machen, ist die Sache jedoch anders. Es gibt zwar gewissermaßen so etwas wie eine bereits bestehende grobe Vernetzung; einige grundlegende Elemente unter den Fähigkeiten und Charakterzügen sind bereits im genetischen Code festgelegt; aber die menschliche Persönlichkeit, also alles, was unsere Individualität und unser Gedächtnis ausmacht, bildet sich im wesentlichen erst allmählich im Verlauf unseres Lebens, indem neuronale Untervernetzungen und bestimmte Synapsen aktiviert und chemisch verstärkt werden; kurz gesagt, die individuelle Geschichte schafft das Individuum.«
Nach einem ebenso frugalen Essen wie am Vortag nahm ich neben dem Propheten in seinem Range Rover Platz. Miskiewicz stieg vorn ein, und einer der Wächter setzte sich ans Steuer. Die ungeteerte Straße, die hinter dem Zeltdorf weiterführte, war durch das Felsgestein gegraben; wir waren bald von einer roten Staubwolke eingehüllt. Nach einer Viertelstunde hielt der Wagen vor einem makellos weißen Quader ohne Öffnungen, der etwa zwanzig Meter breit und zehn Meter hoch war. Miskiewicz betätigte die Fernbedienung: Eine massive Tür drehte sich in unsichtbaren Angeln in der Vorderwand.
Im Inneren herrschten das ganze Jahr über Tag und Nacht eine konstante Temperatur und eine stets gleichbleibende Helligkeit, erklärte er mir. Über eine Treppe gelangten wir auf eine breite Galerie, die in ziemlicher Höhe um die Halle führte und den Zugang zu zahlreichen Büros ermöglichte. Die in die Wände eingelassenen Metallschränke enthielten eine Vielzahl sorgfältig beschrifteter DVDs mit Datenmaterial. Im unteren Stock befand sich nur eine Halbkugel aus durchsichtigem Plexiglas, die von Hunderten ebenfalls durchsichtiger Schläuche durchzogen war, die zu Behältern aus poliertem Stahl führten.
»Diese Schläuche enthalten die chemischen Substanzen, die zur Herstellung eines Lebewesens erforderlich sind«, fuhr Miskiewicz fort. »Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und verschiedene Spurenelemente …«
»In dieser durchsichtigen Blase«, fügte der Prophet begeistert hinzu, »wird der erste Mensch entstehen, der auf rein künstlichem Weg geschaffen wird; der erste richtige Cyborg.«
Ich blickte die beiden Männer aufmerksam an: Zum erstenmal schien der Prophet überhaupt nicht mehr zu scherzen, er wirkte selbst äußerst beeindruckt und fast eingeschüchtert durch die Perspektiven, die sich in der Zukunft eröffneten. Miskiewicz dagegen machte einen sehr selbstsicheren Eindruck und schien seine Erklärungen fortsetzen zu wollen: In dieser Halle war er der Chef, der Prophet hatte hier nichts mehr zu sagen. In diesem Augenblick wurde mir bewußt, daß die Einrichtung des Labors teuer, sogar sehr teuer gewesen sein mußte und der Großteil der Beiträge und Gewinne vermutlich in dieses Projekt flossen und daß dieser Saal im Grunde der wahre Grund für die Existenz der Sekte war. Nachdem ich Miskiewicz ein paar Fragen gestellt hatte, erwiderte er, daß sie jetzt in der Lage seien, sämtliche Proteine und komplexen Phospholipide synthetisch herzustellen, die an der Zellfunktion beteiligt waren; sie hätten ebenfalls sämtliche Organellen mit Ausnahme des Golgi-Apparats reproduzieren können, doch auch dies würde, wie er vermute, nicht mehr lange dauern; dagegen stießen sie bei der Synthese der Plasmamembran bisher noch auf unerwartete Schwierigkeiten und seien daher noch nicht in der Lage, eine hundertprozentig funktionsfähige lebendige Zelle zu erzeugen. Auf meine Frage, ob sie einen Vorsprung vor anderen Forschungsteams hätten, runzelte er die Stirn; ich hätte ihn anscheinend nicht richtig verstanden: Sie hätten nicht nur einen Vorsprung, sondern sie
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