Die Mglichkeit einer Insel
verwandelten sich in einfachere Moleküle; keine Spur von Gehirntätigkeit oder Gedanken, und natürlich blieb auch nichts von dem, was man mit den Begriffen Geist oder Seele verbinden kann, danach bestehen. Mein Atheismus war so radikal und felsenfest verankert, daß ich es nie geschafft hatte, diese Themen wirklich ernst zu nehmen. Wenn ich während meiner Schulzeit mit einem Christen, einem Muslim oder einem Juden diskutierte, hatte ich immer den Eindruck gehabt, daß ihr Glaube nicht ganz ernst zu nehmen war; daß sie unmöglich an die Realität der vertretenen Dogmen glauben konnten, sondern daß es sich dabei um ein Erkennungszeichen oder eine Art Kennwort handelte, das ihnen Zugang zur Gemeinschaft der Gläubigen verschaffte — etwa so wie es der Grunge oder Doom Generation für die Anhänger dieser Stilrichtungen bewirken konnten. Der tiefe Ernst, mit dem sie manchmal über theologische Standpunkte, die alle gleich absurd waren, debattierten, schien dieser Hypothese zu widersprechen; aber eingefleischten Spielern ging es im Grunde genauso: Für einen Schachspieler oder jemanden, der sich ernsthaft in ein Rollenspiel vertieft, ist der fiktive Raum des Spiels etwas völlig Ernstzunehmendes, Reales, man kann sogar sagen, daß für ihn zumindest für die Dauer des Spiels nichts anderes mehr existiert.
Dieses nervige Rätsel, das mir die Gläubigen aufgegeben hatten, stellte sich mir also angesichts der Elohimiten fast in unveränderter Form erneut. In manchen Fällen war das Dilemma natürlich leicht zu lösen. Miskiewicz zum Beispiel konnte diese läppischen Geschichten wohl unmöglich ernst nehmen, aber er hatte gute Gründe, in der Sekte zu bleiben: Angesichts des nonkonformistischen Charakters seiner Forschungsarbeit hätte er nirgendwo anders so großzügige Geldmittel und ein so modern eingerichtetes Labor bekommen. Die anderen führenden Persönlichkeiten — Flic, der Humorist und natürlich der Prophet selbst — zogen ebenfalls einen materiellen Nutzen aus ihrer Mitgliedschaft. Bei Patrick war die Sache schon erstaunlicher. Er hatte zwar durch die Sekte eine Geliebte mit explosivem erotischem Potential gefunden, die vermutlich ebenso heiß war, wie sie wirkte —, was außerhalb dieses Rahmens nicht so leicht gewesen wäre: Das Sexualleben von Bankern und leitenden Managern ist trotz ihres Geldes im allgemeinen äußerst kümmerlich, sie müssen sich mit kurzen, sündhaft teuer bezahlten Treffen mit escort girls begnügen, die sie verachten und die es sich nicht verkneifen, sie den körperlichen Ekel spüren zu lassen, den ihnen solche Typen einflößen. Patrick schien jedoch wirklich gläubig zu sein und ernsthaft auf die Ewigkeit voller Wonnen zu hoffen, die der Prophet in Aussicht stellte; bei einem Mann, dessen Verhalten ansonsten von einer zutiefst bürgerlichen Rationalität geprägt war, konnte einen das durchaus irritieren.
Ehe ich einschlief, dachte ich lange über Patrick und Vincent nach. Seit dem ersten Abend hatte dieser nicht mehr das Wort an mich gerichtet. Als ich früh am nächsten Morgen aufwachte, sah ich ihn wieder in Begleitung von Susan den Weg entlanggehen, der sich den Hügel hinabschlängelte; sie schienen auch diesmal in ein ernstes, fruchtloses Gespräch vertieft zu sein. Sie trennten sich auf dem ersten kleinen Platz mit einem Kopfnicken, und Vincent machte kehrt, um in sein Zimmer zurückzugehen. Ich wartete im Eingang auf ihn; er zuckte zusammen, als er mich sah. Ich lud ihn zum Kaffee in mein Zimmer ein; überrumpelt willigte er ein. Während wir darauf warteten, daß das Wasser kochte, stellte ich das Kaffeegeschirr auf den kleinen Gartentisch auf der Terrasse. Die Sonne hatte Mühe, zwischen den dicht aufgetürmten dunkelgrauen Wolken hervorzukommen; ein dünner violetter Strahl zeichnete sich knapp über der Horizontlinie ab. Ich goß Vincent eine Tasse Kaffee ein; er gab etwas Süßstoff hinzu und rührte nachdenklich mit dem Löffel in der Tasse. Ich setzte mich ihm gegenüber; er blieb stumm, senkte die Augen und führte die Tasse an die Lippen. »Bist du in Susan verliebt?« fragte ich ihn. Er blickte ängstlich zu mir auf. »Sieht man mir das so deutlich an?« entgegnete er nach einer langen Pause. Ich nickte. »Du solltest versuchen, etwas Abstand zu gewinnen …«, sagte ich, und mein ruhiger Ton schien auf tieferes Nachdenken schließen zu lassen, dabei war ich gerade erst auf die Idee gekommen, aber ich spann den Gedanken einfach weiter: »Wir sollten einen
Weitere Kostenlose Bücher