Die Mglichkeit einer Insel
Sein wie mit einem Bügeleisen geplättetes Gesicht, seine kleine Nase, sein schütteres, glattes Haar: er war wie geschaffen für die Rolle eines Clowns, gehörte zu den von der Natur vernachlässigten Wesen, die man selbst dann nicht ganz ernst nimmt, wenn sie verzweifelt sind; jedenfalls war klar, daß er nicht zu beneiden war, falls die Sekte plötzlich aufgelöst würde, ich war mir nicht einmal sicher, ob er noch über eine andere Einnahmequelle verfügte. Er wohnte bei dem Propheten in Santa Monica im selben Haus, in dem auch dessen zwölf Bräute lebten. Er selbst hatte kein Sexualleben und tat den ganzen Tag so gut wie nichts, seine einzige Extravaganz bestand darin, sich seine Knoblauchwurst aus Frankreich schicken zu lassen, die kalifornischen Delikatessenläden kamen ihm unzureichend vor; er vervollständigte auch weiterhin seine Ködersammlung und wirkte insgesamt wie eine ziemlich erbärmliche Marionette, die weder persönliches Verlangen noch Lebensenergie mehr besaß und die der Prophet mehr oder weniger aus Barmherzigkeit an seiner Seite duldete, wenn nicht gar als abschreckendes Beispiel und gelegentlich als Prügelknabe.
Die Bräute des Propheten kamen herein und brachten die Vorspeisen; vermutlich um den künstlerischen Charakter dieser Zusammenkunft zu würdigen, hatten sie ihre Gewänder gegen feenhafte Kleidung kesser Melusinen eingetauscht, mit konischen, sternenbesetzten Hüten und hautengen, mit silbernen Pailletten bestickten Kleidern, die ihren Hintern unbedeckt ließen. Auch bei dem Essen hatte man sich an diesem Abend etwas mehr Mühe gegeben, es gab kleine Fleischtaschen und verschiedene Sakuski. Mechanisch streichelte der Prophet den Hintern der Dunkelhaarigen, die ihm seine Sakuski servierte, aber auch das schien nicht auszureichen, um seine Stimmung zu heben; nervös ordnete er an, man solle den Wein sofort bringen, goß zwei Gläser hinunter, lehnte sich zurück und ließ den Blick lange über die Anwesenden schweifen.
»Wir müssen etwas unternehmen, was die Medien angeht …«, sagte er schließlich zu dem Humoristen. »Ich habe den Nouvel Observateur von dieser Woche gelesen, diese systematische Hetzkampagne können wir uns einfach nicht mehr gefallen lassen …«Der so Angesprochene runzelte die Stirn und sagte, nachdem er mindestens eine Minute nachgedacht hatte, in zweifelndem Ton: »Das ist nicht so einfach …«, als handele es sich dabei um eine bemerkenswerte Wahrheit. Ich fand, daß er die Sache mit erstaunlicher Gleichgültigkeit aufnahm, denn schließlich war er offiziell als einziger dafür verantwortlich — was auch dadurch kenntlich wurde, daß weder der Professor noch Flic bei diesem Essen anwesend waren. Er war vermutlich völlig inkompetent auf diesem Gebiet, wie auch auf allen anderen, hatte sich daran gewöhnt, eher erfolglos zu sein, und glaubte, daß es immer so bleiben würde und alle in seiner Umgebung sich mit dieser Erfolglosigkeit abgefunden hatten; auch er ging wohl auf die Fünfundsechzig zu und erwartete vermutlich nicht mehr viel vom Leben. Er machte den Mund auf und zu, ohne etwas herauszubringen, suchte offensichtlich nach einer witzigen Bemerkung, um wieder gute Laune zu produzieren, aber er fand nichts, war Opfer einer vorübergehenden Inspirationskrise. Schließlich gab er es auf: Der Prophet, dachte er sich vermutlich, war heute abend schlecht drauf, aber das würde sich wieder legen; er machte sich in Ruhe über seine Fleischpastete her.
»Was meinst du…« Der Prophet wandte sich direkt an mich und blickte mir fest in die Augen. »Ist diese Feindseligkeit der Presse ein Dauerproblem?«
»Ganz allgemein gesehen, ja. Wenn man sich als Märtyrer hinstellt und sich darüber beklagt, ungerechtfertigt verfolgt zu werden, kann man durchaus ein paar Außenseiter anlocken; Le Pen ist das seinerzeit sehr gut gelungen. Aber letztlich zieht man dabei den kürzeren — vor allem, wenn man ein Programm vertritt, das nicht sektiererisch ist und das Ziel verfolgt, breitere Gesellschaftsschichten anzusprechen.«
»Genau! Genau!… Hört doch nur, was Daniel sagt!« Er richtete sich auf und wandte sich an alle Anwesenden. »Die Medien klagen uns an, wir seien eine Sekte, dabei hindern sie uns daran, zu einer Religion zu werden, indem sie systematisch unsere Thesen verdrehen und uns den Zugang zu den Massen verwehren, obwohl die Lösungen, die wir anzubieten haben, für alle Menschen gelten, egal welcher Nationalität, welcher Rasse oder welcher
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