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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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nur aus Neugier zu diesem Kurs gekommen — sein erster Eindruck sei im übrigen recht gut. Das Interesse der beiden an mir erlosch ziemlich bald, und sie begannen sich angeregt auf italienisch zu unterhalten. Sie bildeten nicht nur ein bildhübsches Paar, sondern schienen auch sehr ineinander verliebt zu sein. Sie waren noch mitten in der bezaubernden Phase, in der man die Welt des anderen entdeckt und das Bedürfnis hat, über das in Entzücken zu geraten, was den anderen entzückt, sich daran zu ergötzen, was den anderen ergötzt, und all das mit dem anderen zu teilen, was ihn belustigt, erfreut oder empört. Sie blickte ihn mit der leisen Verzückung jener an, die weiß, daß ein Mann sie erwählt hat, die sich darüber freut und sich noch nicht völlig an den Gedanken gewöhnt hat, daß sie einen Gefährten an ihrer Seite hat, einen Mann, der nur für sie da ist, und die sich sagt, daß das Leben doch vielversprechend ist.
    Das Essen war so frugal wie gewöhnlich: zwei Tomaten, ein Gemüsesalat mit Hartweizengrieß, ein Stück Ziegenkäse; doch nachdem die Tische abgeräumt waren, schritten die zwölf Bräute in langen weißen Gewändern durch die Gänge und brachten uns Amphoren mit einer Art Apfellikör. Eine ansteckende Euphorie, die zu zahlreichen fröhlichen, immer wieder unterbrochenen Gesprächen führte, breitete sich unter den Anwesenden aus; mehrere von ihnen summten halblaut etwas vor sich hin. Patrick kam auf mich zu, hockte sich neben mich, versprach mir, daß wir uns oft in Spanien wiedersehen und echte Freunde werden würden und ich ihn in Luxemburg besuchen könne. Als der Prophet aufstand, um erneut das Wort zu ergreifen, gab es zehn Minuten begeisterten Applaus; seine silbrige Silhouette war im Scheinwerferlicht von einem funkelnden Schein umgeben. Er sagte zu uns, wir sollten über die Vielzahl der Welten meditieren, unsere Gedanken auf die Sterne richten, die wir sehen konnten und die alle von Planeten umgeben waren, uns die mannigfachen Lebensformen vorstellen, die diese Planeten bevölkerten, die seltsame Vegetation, die uns unbekannten Tierarten und die Zivilisationen von hoher Intelligenz, von denen einige, wie die der Elohim, viel weiter entwickelt waren als die unsrige und nur darauf warteten, ihr Wissen mit uns zu teilen und uns in ihrer Mitte aufzunehmen, damit wir gemeinsam mit ihnen ein Dasein voller Lust, Freude und ständiger Erneuerung im Universum führten. Das Leben, sagte er zum Schluß, sei etwas in jeder Hinsicht Wunderbares, und alles hänge von uns ab, wir brauchten nur dafür zu sorgen, daß jeder Augenblick es wert sei, gelebt zu werden.
    Als er vom Podium herabstieg, standen alle auf, und die Jünger bildeten ein Spalier, um ihn durchzulassen, schwenkten die Arme durch die Luft und sangen mit lauter Stimme: »Eeee-looo-hiiim!«; manche lachten hemmungslos, andere brachen in Schluchzen aus. Der Prophet blieb vor Fadiah stehen und berührte leicht ihre Brüste. Sie zuckte vor Freude zusammen, stieß so etwas wie ein »Yeeep!« aus. Dann bahnten sie sich gemeinsam einen Weg durch die Menge der singenden und begeistert klatschenden Jünger. »Es ist schon das dritte Mal! Das dritte Mal, daß er sie auszeichnet!« flüsterte mir Patrick stolz ins Ohr. Und dann erfuhr ich von ihm, daß der Prophet außer seinen zwölf Bräuten manchmal auch noch einer ganz normalen Anhängerin die Ehre zukommen ließ, eine Nacht mit ihm zu verbringen. Die Erregung legte sich allmählich, und die Jünger kehrten zu ihren Zelten zurück. Patrick trocknete seine Brillengläser, die von Tränen beschlagen waren, dann legte er mir den Arm um die Schulter und wandte den Blick zum Himmel. Es sei eine außergewöhnliche Nacht, sagte er zu mir; er spüre noch stärker als sonst die Wellen, die von den Sternen ausgingen, die Wellen voller Liebe, die die Elohim uns zusandten; in einer solchen Nacht, davon sei er überzeugt, würden sie irgendwann zu uns zurückkehren. Ich wußte nicht recht, was ich darauf erwidern sollte. Mir war der Glaube an eine Religion welcher Art auch immer nicht nur seit jeher fremd gewesen, sondern ich hatte noch nie auch nur die Möglichkeit zu glauben in Betracht gezogen. Für mich waren die Dinge genau so, wie sie zu sein schienen: Der Mensch war eine Tierart, die auf dem gewundenen Weg über einen mühsamen Entwicklungsprozeß aus anderen Tierarten hervorgegangen war; er bestand aus einer in Organen angeordneten Materie, und nach dem Tod verwesten diese Organe,

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