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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Abreißblock liegen hatten. Er zeigte auf sie und sagte emphatisch zum Publikum: »And judging theeem … is our international jury! … The four members of our panel have been around the world a few times — that's the least you can say! They know what sexy boys and girls look like! Ladies and Gentlemen, a special hand for our experts!« Ein paar Leute klatschten müde, während die auf diese Weise lächerlich gemachten Senioren ihren Angehörigen im Publikum zuwinkten, und dann begann der eigentliche Wettbewerb. Die Mädchen kamen eine nach der anderen im Bikini auf die Bühne und führten so etwas wie einen erotischen Tanz auf: Sie wackelten mit dem Hintern, rieben sich mit Sonnenöl ein, spielten mit den Trägern ihres Bikinioberteils usw. Als Musik wurde dazu House in voller Lautstärke gespielt. So, das war es also: Jetzt waren wir in der normalen Welt. Ich dachte daran zurück, was Isabelle mir am Abend unserer ersten Begegnung gesagt hatte: eine Welt von endgültigen kids. Der Schwarze war ein erwachsenes kid, die Mitglieder der Jury waren alternde kids; nichts von alledem konnte für Vincent ein Anreiz sein, seinen Platz in der Gesellschaft wieder einzunehmen. Ich machte ihm genau in dem Augenblick den Vorschlag zu gehen, als die Russin die Hand in ihr Bikinihöschen schob; er stimmte gleichgültig zu.
    Auf einer Karte im Maßstab 1: 200.000, insbesondere auf einer Michelinkarte, sieht alles sehr schön aus; auf einer Karte in größerem Maßstab wie jene, die ich von Lanzarote hatte, wird die Sache schon weniger schön: Man kann schon allmählich die Hotelkomplexe und Freizeitanlagen erkennen. Im Maßstab 1 : 1 befindet man sich in der normalen Welt, was nicht sonderlich erfreulich ist; aber wenn man noch weiter vergrößert, beginnt ein Alptraum: Dann erkennt man Milben, Pilzkrankheiten, Parasiten, die sich über das Fleisch hermachen. Gegen zwei waren wir wieder im Lager.
    Das trifft sich ja wunderbar, ganz wunderbar, Flic empfing uns bebend vor Begeisterung; der Prophet habe gerade ganz überraschend beschlossen, heute abend ein kleines Essen für alle anwesenden Persönlichkeiten zu organisieren, das heißt, für alle, die auf die eine oder andere Weise mit den Medien oder dem Publikum in Kontakt standen. Der Humorist, der neben ihm stand, nickte energisch und zwinkerte mir dabei zu, als wolle er mir dadurch zu verstehen geben, daß das alles nicht so ernst zu nehmen sei. In Wirklichkeit verließ er sich wohl vor allem auf mich, um die Situation in den Griff zu bekommen: Als Pressereferent hatte er bisher nur Pannen erlebt; die Sekte wurde bestenfalls als eine Gruppe von Spinnern und Adepten von Fliegenden Untertassen und schlimmstenfalls als eine gefährliche Organisation dargestellt, deren Thesen der Eugenik, wenn nicht gar dem Nazismus naheständen; und was den Propheten anging, so wurde er regelmäßig wegen der wiederholten Mißerfolge in seinem früheren Leben (Rennfahrer, Schlagersänger …) lächerlich gemacht. Kurz gesagt, ein gestandener VIP wie ich war für sie eine unverhoffte Gelegenheit, eine Vitaminspritze.
    Ein knappes Dutzend Leute war im Speisesaal versammelt; ich erkannte Gianpaolo in Begleitung von Francesca wieder. Er verdankte diese Einladung vermutlich seiner Schauspielerkarriere, auch wenn sie noch so bescheiden war; offensichtlich durfte man den Begriff Persönlichkeit nicht so eng sehen. Ich erkannte auch eine platinblonde, ziemlich füllige Frau wieder, die den Gesang zur Begrüßung der Elohim mit kaum erträglicher Lautstärke gesungen hatte; sie stellte sich mir als Opernsängerin oder genauer gesagt als Choristin vor. Mir wurde der Ehrenplatz zugewiesen, dem Propheten direkt gegenüber; er empfing mich herzlich, wirkte aber angespannt und ängstlich, blickte sich besorgt nach allen Seiten um; er wurde etwas ruhiger, als der Humorist neben ihm Platz nahm. Vincent setzte sich rechts neben mich und warf dem Propheten, der aus Brot Kügelchen machte und sie mechanisch auf dem Tisch rollte, einen scharfen Blick zu; er wirkte ziemlich müde und geistesabwesend, diesmal sah man ihm seine fünfundsechzig Jahre wirklich an. »Die Medien können uns nicht ausstehen …«, sagte er bitter. »Wenn ich jetzt sterben würde, keine Ahnung, was von meinem Werk übrigbliebe. Dann gäbe es ein allgemeines Hauen und Stechen …« Der Humorist, der gerade irgendeinen Scherz machen wollte, wandte sich ihm zu, merkte am Ton seiner Stimme, daß er es ernst meinte, und war völlig verdutzt.

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