Die Midlife-Boomer
steigende Lebenserwartung zu koppeln 178 . Dies könne dazu beitragen, »die Balance zwischen den Arbeitsjahren und den Rentenjahren zu stabilisieren«, wie es in Berichten über das Weißbuch heißt.
Das Vorpreschen der EU-Kommission ist primär finanziell getrieben. Rund die Hälfte der zusätzlichen Kosten durch die Alterung könne so eingespart werden: »Das ist von zentraler Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit.«
Dänemark hat bereits beschlossen, was die EU-Kommission in ihrem Weißbuch empfiehlt. Dort wird zuerst das gesetzliche Rentenalter zwischen den Jahren 2024 und 2027 in Halbjahresschritten von 65 auf 67 Jahre erhöht. Die Dänen starten damit später in ihre Rente mit 67 als hierzulande, sind aber schneller am Ziel. Bei uns wird die Regelaltersgrenze von 67 erst im Jahr 2029 erreicht und betrifft dann den Geburtsjahrgang 1964.
Die Dänen richten ihr Rentensystem danach an einer durchschnittlichen Rentenbezugszeit von 14,5 Jahren aus. Steigt also die Lebenserwartung, steigt auch das Renteneintrittsalter – und zwar automatisch. Im Jahr 2015 soll dieses System starten und würde dann erstmals im Jahr 2030 umgesetzt 179 .
Jeder, der heute arbeitet, hat also mindestens 15 Jahre Zeit, um sich darauf einzustellen, wann er regulär in Rente gehen kann. Ein 1974 geborener Däne wird nach der jetzigen Vorausschau dann im Jahr 2045 mit 71 Jahren in Rente gehen. Wer im Jahr 1988 geboren wurde, verabschiedet sich voraussichtlich im Jahr 2060 mit 72,5 Jahren in den Ruhestand.
Mit einer ähnlichen Begründung hat der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt Anfang Februar 2012 die »Rente mit 75« gefordert. Wie zu erwarten war, hat er damit einen Sturm der Empörung ausgelöst. Denn die Rentendebatte ist heutzutage fast ausschließlich eine Verlustdebatte: Weil die Arbeit im Alter meist keinen Spaß macht und nicht als sinnstiftend empfunden wird, kämpfen Ältere mit Zähnen und Klauen um jedes Jahr, das sie früher in Rente gehen können. So sind wir mitten im Teufelskreis: Unternehmen verbessern die Arbeitsbedingungen der Älteren nicht, weil sie ihre hartnäckigen Vorurteile über die angeblich mangelnde Leistungsfähigkeit der Älteren nicht loswerden.
Also suchen Ältere ihr Heil im angeblichen Rentenparadies, das sich nach einigen Jahren des Herumreisens und der Hausreparaturen oft genug als tödlich langweilige Hölle des Nichtstuns entpuppt. Dann aber ist es oft wirklich zu spät, noch einmal etwas Neues anzufangen, was Sinne, Körper und Geist anregt.
Mindestens ebenso wichtig wie der finanzielle Aspekt der Rentendebatte sind mittelfristig aber auch die Mentalitätsänderungen, die durch derartige regulatorische Eingriffe ausgelöst werden. Dazu aber muss die Rentendebatte von einer Verlustdiskussion auf eine Gewinndiskussion umgestellt werden: Es ist gut, dass wir länger arbeiten können, weil uns die Arbeit Sinn und Bestätigung gibt – und weil sie uns dabei hilft, besser und gesünder alt zu werden.
Dazu muss, und das kann nicht oft genug wiederholt werden, sich natürlich noch sehr viel bei den Arbeitsbedingungen ändern und auch in der Art und Weise, wie wir – die Älteren ebenso wie die Jungen – arbeiten. Ältere Arbeitnehmer brauchen noch mehr als die Jüngeren Zeitsouveränität: Nicht das Unternehmen, sondern sie müssen bestimmen können, wann und wie sie arbeiten. Und die Arbeitgeber müssen Ernst machen mit all den Lippenbekenntnissen der Wertschätzung ihrer Arbeitnehmer. Nur da, wo Ältere im Unternehmen wirklich geschätzt werden, profitieren die Firmen voll vom Erfahrungsschatz ihrer grauhaarigen Mitarbeiter.
Das Ende des Jugendwahns betitelten die beiden Wirtschaftsjournalisten Stefan von Borstel und Dorothea Siems Mitte Februar 2012 eine Geschichte 180 über die wachsende Beschäftigung Älterer. Noch sind solche Schlagzeilen sehr rar gesät. Doch sie sind Anlass zur Hoffnung, dass die Fixierung von Medien und Unternehmen auf die angeblich werberelevante Gruppe der 18- bis 49-Jährigen bald einem realistischen Bild der Gesellschaft in Deutschland weicht.
In dem Stück berichten die beiden Autoren über einen 73-jährigen Werkzeugbauer und seine Dreitagewoche: »Es geht mir nicht ums Geld, sondern darum, eine Beschäftigung zu haben, die mir auch nach 40 Jahren noch Freude macht«, sagt Klaus Beckert. Er ist noch immer von dienstags bis donnerstags für seinen früheren Arbeitgeber tätig, das Krefelder Technikunternehmen Henkelhausen GmbH.
Für die
Weitere Kostenlose Bücher