Die Midlife-Boomer
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Satte 0,8 Prozentpunkte und damit viermal so viel bringt es, wenn es uns gelingt, die Arbeitslosenquote dauerhaft auf 3,5 Prozent zu senken. Das erscheint derzeit durchaus möglich: Im Dezember 2011 lag sie bei 5,5 Prozent 170 . Da das Arbeitsangebot durch die demografischen Veränderungen abnimmt und der Fachkräftemangel noch nicht flächendeckend zu spüren ist, besteht hier also durchaus noch Senkungspotenzial. Allerdings müssten dazu Langzeitarbeitslose und andere schwer vermittelbare Gruppen wieder in besonderem Maße fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden – kein leichtes Unterfangen.
Um weitere 0,6 Prozentpunkte ließe sich die Tragfähigkeitslücke senken, wenn der Rentenbeginn nach dem Jahr 2029 weiter erhöht werden würde und im Jahr 2060 dann bei 69 statt 67 Jahren läge. Um rund drei Jahre wird die durchschnittliche Lebenserwartung bis dahin steigen. Ein Drittel der Zeit könnten die Rentner dieser Generationen dann quasi »für sich« behalten. Sie müssten lediglich zwei der drei »geschenkten« Jahre weiterarbeiten, dann bliebe das Rentensystem stabil und tragfähig.
Ebenso positiv, also mit einem Minus von 0,6 Prozentpunkten, würde sich ein jährlicher Wanderungsüberschuss von 200.000 Menschen ab dem Jahr 2020 auswirken. Da momentan jedoch mehr Menschen Deutschland verlassen, als aus anderen Ländern zu uns kommen, scheint das schwer umzusetzen. Die seit vielen Jahren zu beobachtende latente Ausländerfeindlichkeit in Deutschland sitzt tief. Es wird schwierig sein, die Mentalitäten hier zu ändern und Deutschland als attraktives globales Wanderungsziel zu etablieren.
Am dramatischsten aber wirken sich die Entwicklungen der Gesundheitskosten aus: Steigen die Kosten hier so weiter wie im Schnitt der vergangenen Jahre, könnte sich die Tragfähigkeitslücke fast verdoppeln. Dann wird die Demografie in der Tat zu dem Damoklesschwert, als das sie von vielen gezeichnet wird.
Stimmt allerdings die Hypothese, dass die Menschen zwar älter, aber nicht kränker werden, könnten wir bis zu 1,3 Punkte von der Tragfähigkeitslücke streichen. Dafür gibt es Anhaltspunkte: Die höchsten Gesundheitskosten verursacht ein Mensch in den Wochen und Monaten vor seinem Tod – und zwar unabhängig von seinem Alter. Diese Erkenntnis ist weitgehend gesichert. Die Frage ist, was in der Gesellschaft des langen Lebens auf dem Weg dorthin passiert. Nach der sogenannten »Medikalisierungsthese« führt die steigende Lebenserwartung automatisch zu einer stärkeren Inanspruchnahme der Ärzte und Kassen. Hinzu kommt, dass besonders krankheitsanfällige Menschen länger überleben, vor allem aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts. Dies führt dann zu überproportional steigenden Ausgaben.
Im Gegensatz dazu geht die sogenannte »Kompressionshypothese« davon aus, dass die zusätzlichen Lebensjahre in vergleichsweise guter Gesundheit verbracht werden. Die zu erwartende Kostenphase vor dem Tod verschiebt sich demnach nach hinten, der Kostenanstieg aufgrund der Alterung bleibt aus.
Wie der Sachverständigenrat schreibt, gibt es bislang noch keine hieb- und stichfesten Zahlen für eine der beiden Thesen. »Allerdings gibt es einige Belege für eine Gültigkeit der Kompressionsthese«, stellen die Experten 171 fest.
Bis wir ausreichend Zahlen haben, um die eine oder die andere These als bewiesen betrachten zu können, wird es noch einige Jahre dauern. Heute schon unbestritten ist die Tatsache, dass Prävention viele Zivilisationskrankheiten verhindern kann. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ein typisches Beispiel. Aber auch 40 Prozent der Krebserkrankungen gehen nach Ansicht von Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg »auf vermeidbare Faktoren im Lebensstil« 172 zurück.
Das sind gute Nachrichten für Midlife-Boomer: Sie sind jung genug, um ihre persönliche Gesundheitssituation im Alter noch positiv beeinflussen zu können. Das gilt auch für all jene, die in diesem Alter erst anfangen, sich mehr als früher zu bewegen und ihre Muskeln zu trainieren.
Und noch stärker gilt es natürlich für diejenigen, die bereits aktiv sind. Denn anders als in der Öffentlichkeit oft dargestellt, nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit bei ausreichendem Training nur sehr langsam ab. »Erst im hohen Alter (über 70 Jahre) werden die Unterschiede zu den 30 bis 40 Jahre alten Top-Athleten recht deutlich«, heißt es in einer Studie des finnischen Wissenschaftlers Harri Suominen, 173
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