Die Mission des Zeichners
persönlich zu übergeben.«
»Von wem?«
»Dem Earl of Sunderland selig.«
»Und was waren Sie bei dem Earl?«
»Nichts... Er ist nur auf mich aufmerksam geworden.«
»Aufgrund des Gegenstands, mit dessen Übergabe er Sie beauftragt hat?«
»Das kann man so sagen, ja.«
»Worum handelt es sich dabei?«
»Um etwas, das im Volk dieses Landes den Ruf nach der Restauration von König James laut werden lassen wird.«
»Und was ist das?«
»Das geheime Hauptbuch des Ersten Kassiers der South Sea Company.«
»Ha!« Kelly blieb jäh stehen und drängte Spandrel gegen eine Säule. »Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Es ist wahr. Ich kann das Grüne Buch dem Dekan geben.«
»Und was hat er davon?«
»Darin sind sämtliche Personen aufgelistet, die diese Gesellschaft bestochen hat. Bis hinauf zu höchsten Stellen, einschließlich des... Kurfürsten aus Hannover.«
»Der Kurfürst aus Hannover? Sie wählen Ihre Worte wie einer, der Läuse fängt, Spandrel. Was bedeuten sie?«
»Die Bedeutung liegt doch auf der Hand.« Spandrel sah Kelly in die Augen. »Ich habe das Grüne Buch. Und seit Sunderlands Tod weiß niemand, dass es in meiner Hand ist. Niemand außer Ihnen.«
»Warum sollte Sunderland Ihnen so etwas anvertraut haben?«
»Warum gerade mir, meinen Sie?«
»Ja. Warum ausgerechnet Ihnen?«
»Das werde ich dem Dekan erklären. Ich werde ihm alle Fragen beantworten. Und ich kann ihm etwas geben, das der König dringender benötigt als noch so viele treue Priester.«
»Was benötigt er?«
»Munition, um ein Geschützfeuer auszulösen, das den Kurfürsten dorthin schießt, wohin er gehört, zurück nach Hannover, und um freie Bahn zu schaffen« - Spandrel deutete mit dem Kinn auf den Innenraum der Kirche - »für eine Krönung.«
Kelly starrte Spandrel lange und eindringlich an. Auf einmal erschien im Parallelgang ein Priester. Kelly folgte ihm mit den Blicken. Eine Tür wurde geöffnet und fiel zu, und der Mann war verschwunden.
»Ich muss den Dekan sprechen.«
»Aber muss der Dekan Sie sprechen? Die Entscheidung liegt bei ihm.«
»Und an Ihnen liegt es, Ihn zu beraten.«
»Das werde ich«, erwiderte Kelly mit einem nachdenklichen Nicken. »Seien Sie morgen um diese Zeit im Spread Eagle in der Tothill Street. Dort gebe ich Ihnen Ihre Antwort.«
»Aber...«
»Seien Sie dort.« Kelly stach Spandrel seinen massiven Zeigefinger gegen die Brust. »Das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Auf dem Rückweg nach Leicester Fields suchte Spandrel nicht das Spread Eagle, aber eine Reihe anderer Gasthäuser auf. Er wünschte sich, die Angelegenheit hätte, so oder so, schon an diesem Abend geregelt werden können, und müsste nicht weitere vierundzwanzig Stunden in der Schwebe bleiben. Abgesehen davon war nicht sicher, ob diese Unterredung mit Atterbury, wenn ihm morgen überhaupt eine gewährt wurde, nicht noch weitere nach sich ziehen würde. Ohne ernsthaften Zweifel stand für ihn andererseits fast, dass ein solches Treffen über kurz oder lang stattfinden würde. Die Verlockung war einfach zu groß, als dass ein wahrer Jakobit widerstehen konnte. Aber wann war es so weit? Und was würde dabei herauskommen? Die Unsicherheit nagte an ihm wie quälender Hunger. Und wie bei Hunger wurde das Gefühl in seiner Magengrube immer unangenehmer.
Spandrel war fast dankbar, dass er den größten Teil des nächsten Tages damit verbringen konnte, sich mit Crabbe, dem Drucker, über die Höhe der Zinsen auf den so lange schuldig gebliebenen Betrag für die Fertigstellung der Bögen seiner Karte zu streiten. Crabbe war ein harter Verhandlungspartner, doch er hatte die Bögen sorgfältig gehütet, und er war Spandrel wohlgesonnen, wenngleich er ihm eine düstere Einschätzung seiner Erfolgsaussichten mit auf den Weg gab: »Jetzt ist nicht die Zeit, sich auf den Markt zu wagen, junger Mann. Sie werden erst Kunden finden, wenn sich die Lage aufhellt. Sie täten gut daran, bis dahin zu warten.« Wahrscheinlich hatte er Recht. Freilich konnte Spandrel in seiner gegenwärtigen Lage kaum weiter als über den jeweiligen Tag hinausschauen. Und was die Zukunft verhieß, war ihm egal. Er bedankte sich bei Crabbe für dessen Rat und ging seiner Wege.
Als Spandrel zu Hause eintraf, war seine Mutter damit beschäftigt, Bewerberinnen für eine Anstellung als Hausmädchen in ihrem neuen Haushalt zu prüfen. Er nahm die Bögen mit in sein Zimmer und breitete sie im langsam matter werdenden Spätnachmittagslicht vor sich aus. Erneut
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