Die Mission des Zeichners
doch der Stuhl davor war leer. Er klopfte an.
Keine Antwort. Er pochte erneut. Immer noch keine Reaktion. Er drückte die Klinke hinunter und rüttelte an der Tür. Sie ging auf.
Beim Eintreten registrierte er in einer Ecke eine Bewegung. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten.
»Da sind Sie ja, Spandrel.« Die Stimme gehörte nicht At-terbury, genauso wenig der Körper. Oder das Gesicht. »War ja auch höchste Zeit.«
Spandrel war zu keiner Regung und zu keinem Wort fähig. Fassungslos starrte er auf die näher tretende Gestalt.
»Was haben Sie, Mann?«, rief McIlwraith. »Sie sehen ja aus, als wäre Ihnen ein Gespenst über den Weg gelaufen!«
34 Zurück von den Toten
»Setzen Sie sich doch, Spandrel.« McIlwraith deutete auf einen der zwei Stühle vor dem Kamin. »Bevor Sie mir noch umkippen.«
»Captain...« Spandrel ließ sich zitternd nieder, ohne die Augen von James McIlwraiths hohlwangigem, ansonsten aber unverändertem Gesicht lösen zu können. »Sie sind nicht tot?«
»Nur, wenn Sie es auch sind und Lucifer sich einen Spaß draus macht, uns vorzugaukeln, wir wären noch am Leben.«
»Ich verstehe nicht. Cloisterman hatte mir gesagt, sie lägen im Sterben.«
»Im Sterben liegen und sterben ist nicht ganz dasselbe.«
»Aber... Sie selbst haben gesagt, es ginge mit Ihnen... zu Ende.«
»Das glaubte ich auch.«
»Ich hätte Sie nicht allein liegen lassen, wenn« - Spandrel zuckte hilflos die Schultern - »ich geahnt hätte, dass Sie überleben würden.«
»Ich halte Sie für so ehrenhaft und will Ihnen das glauben.« McIlwraith lächelte ihn an. »Trinken Sie einen Schluck Brandy.« Aus einer Flasche auf dem Kaminsims schenkte er ein Glas Brandy ein und reichte es Spandrel, der dankbar einen großen Schluck nahm. »Lassen Sie mich Ihnen eines versichern: Er schmeckt sogar noch besser, wenn man gedacht hat, dass man ihn nie wieder wird trinken können.«
»Wie haben Sie es geschafft, zu überleben?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe es einfach geschafft. Dieser Berner Arzt war darüber noch überraschter als ich selbst.
Muss an der guten Schweizer Luft gelegen haben. Oder an den langen Jahren der Abstinenz. Mein Leben hing am seidenen Faden. Viel hat nicht gefehlt, und er wäre gerissen. Aber dann bin ich doch noch zurückgekommen. Vielleicht war ich einfach nicht bereit, so viele Angelegenheiten unerledigt zu lassen. Diese Kugel, die Wagemaker mir verpasst hat, gibt es übrigens noch.« Er klopfte sich auf die linke Brusthälfte und zuckte zusammen. »Steckt irgendwo da drinnen, haben sie mir gesagt, und ist immer noch in der Lage, mich zu töten, wenn sie sich an einer lebenswichtigen Stelle einnistet. Wenn ich also mitten in einem Satz umfalle, wissen Sie den Grund. Aber an Ihrer Stelle« - er stellte sich hinter Spandrel und umschloss dessen Schultern mit schmerzhaftem Griff - »würde ich mich nicht darauf verlassen.«
»Darauf verlassen?« Spandrel verdrehte den Kopf und sah zu McIlwraiths verhüllten Augen auf. »Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, Sie wieder zu sehen, Captain. Sie glauben doch nicht...«
»Dass Sie mich lieber tot als lebend gesehen hätten?«, schmunzelte der Schotte. »Hm, jetzt vielleicht noch nicht, aber bald ganz gewiss.«
»Wie meinen Sie das?«
Langsam ging McIlwraith zu dem anderen Stuhl hinüber und nahm darauf Platz. »Ich mache mit den Jakobiten gemeinsame Sache, Spandrel. Mit Atterbury und den zwei Burschen in der Schankstube unten: Kelly und Layer.«
»Layer? Kelly hat ihn mir als Layton vorgestellt.«
»Ein plumpes Pseudonym. Sein Name ist Christopher Layer. Er ist Advokat und ein Verschwörer. Nicht, dass da ein großer Unterschied bestünde.«
»Aber die Jakobiten? Sie? Warum?
»Ach ja, das ist die Frage, nicht wahr? Sehen Sie, es hat Monate gedauert, bis ich genesen war. Als ich so weit war, dass ich Bern verlassen konnte, hatte es keinen Sinn mehr, nach Rom zu gehen. Mir war klar, dass die Jagd längst vorbei war, so oder so. Darum habe ich den Rückweg nach England angetreten, allerdings gemütlich mit dem Boot den Rhein hinunter. Zum Reiten hat es bei mir noch nicht gereicht. Außerdem hatte ich es ohnehin nicht eilig, sonst wäre ich früher in Köln angekommen. Aber das wäre ein Jammer gewesen, weil ich dann Cloisterman verpasst hätte.«
»Sie haben Cloisterman getroffen?«
»Ja. Er war unterwegs nach Süden.«
»Nach Konstantinopel?«
»Ja. Konstantinopel. Nichts weniger als Botschafter ist er jetzt. Seine Belohnung
Weitere Kostenlose Bücher