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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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selbst zusehen, wie er wieder nach London kam. Die Nacht war angebrochen, und in dem Maße, in dem er die Lampen des Royal Hospital hinter sich ließ, schloss sich die Dunkelheit um ihn. Die einzigen Geräusche, die ihn begleiteten, waren die seiner eigenen Schritte und die traurigen Schreie einer Eule irgendwo im Norden. So schrecklich verzweifelt hatte er sich seit seiner Flucht aus Amsterdam nicht mehr gefühlt. Er hätte seine Schulden nicht bezahlen und sich nicht bei seiner Mutter melden sollen. Vielleicht war die beste Antwort immer noch: Fliehen, solange die Möglichkeit dazu bestand. Aber er konnte seine Mutter nicht im Stich lassen, nachdem er gerade erst wieder zu ihr zurückgekehrt war und ihr ein besseres Leben versprochen hatte. Es musste einen anderen Ausweg geben. Wenn nicht...
    Er schlug seinen Kragen gegen die Kälte der Nacht hoch und lief weiter der Stadt entgegen, und der Aufgabe, die ihn dort erwartete.

33 Ein Wurm am Haken
    Der Umzug vom Cat and Dog Yard nach Leicester Fields ging ohne größere Schwierigkeiten vonstatten, was vor allem Spandrels Mutter überraschte. Mit Habichtsaugen beobachtete sie den Helfer bei jedem Schritt, als rechne sie förmlich mit dem Eintreten irgendeines Unglücks, bevor sie endlich die Führung eines angesehenen Haushalts in einem angesehenen Viertel übernehmen konnte. Doch irgendwann brummte der Mann mit einer Geste auf ihre Habseligkeiten: »Niemand wird sich damit davonmachen. Ich hab schon andere Leute besseres Zeug im Straßengraben abladen sehen.«
    Wenn Mrs. Spandrel diese abschätzige Bemerkung gehört hätte, hätte sie dem Burschen wahrscheinlich eine Ohrfeige gegeben. Spandrel wiederum hätte ihn wohl aufgefordert, seine Zunge zu hüten, hätte nicht eine andere Katastrophe seine Gedanken beherrscht, die die schlimmsten Befürchtungen seiner Mutter weit in den Schatten stellte. »Schau doch nicht so unglücklich drein«, schalt sie ihn, als sie nebeneinander in ihrem kärglich möblierten neuen Wohnzimmer standen. »Ich werde das bald so hergerichtet haben, dass der Prince of Wales hier Tee trinken kann.«
    »Ganz bestimmt, Ma«, brachte Spandrel über die Lippen, ohne freilich um einen Deut weniger unglücklich dreinzuschauen. »Einen frohen Georgstag noch.«
    »Er ist jedenfalls froher, als ich das je für möglich gehalten hätte. Für mich ist das wirklich ein Festtag.«
    »Für mich auch.«
    »Dann mach gefälligst ein fröhlicheres Gesicht, Junge. Und hilf mir beim Auspacken.«
    »Ich kann nicht. Ich muss noch weg.« »Das hätte ich mir ja denken können. Wohin?« »Sagen wir einfach... »Er brachte so etwas wie ein Lächeln zuwege. »Ich muss jemanden wegen eines Drachens aufsuchen.«
    Ob sich diesmal zur Feier des Heiligen Georg eine größere Schar als sonst zum Abendgottesdienst in der Westminster Abbey eingefunden hatte, vermochte Spandrel nicht zu beurteilen. Wenn überhaupt, ging er nur höchst widerstrebend in die Kirche, und das nur am Sonntagmorgen. Die Abendmesse, zumal in den erhabenen Gemäuern der Westminster Abbey, war für ihn eine höchst merkwürdige Erfahrung. Allein schon wegen seines fehlenden Glaubens war ein ersprießliches Erlebnis von vornherein ausgeschlossen. Doch die Umstände, denen er seine Teilnahme verdankte, wogen schwerer als seine persönlichen Überzeugungen. So wurde etwas, das er normalerweise als unangenehm empfunden hätte, zu einer schweren Prüfung.
    Das Kirchenschiff war gut gefüllt mit Gläubigen, und Dekan Atterbury trat erst vor die Gemeinde, nachdem der Chor seinen Einzug gehalten hatte. Spandrel bekam kurz eine Gestalt mit durchgedrücktem Rücken und düsterem Gesicht in wallender Robe zu sehen, die gleich wieder hinter einer Säule verschwand. Weitere Blicke auf den Dekan sollten ihm danach verwehrt bleiben, denn der Würdenträger nahm in einem für Spandrel nicht einsehbaren Winkel im Chorgestühl Platz.
    Doch seine sonore Stimme war für jeden zu hören. Sie dröhnte wohltönend wie eine Glocke, stieg auf zur gewölbten Decke und hallte überall wider. »Der Böse wende sich ab vom Bösen, das er begangen hat, und bekehre sich zum Guten und dem Wort des Gesetzes, dann wird seine lebende Seele gerettet.« Was verstand Atterbury unter dem Guten und dem Wort des Gesetzes, sinnierte Spandrel. Wer war der Böse? »Geliebte Brüder im Herrn, die Heilige Schrift mahnt uns an vielen Stellen, unsere mannigfachen Sünden und Schwächen zu erkennen und zu beichten.« Sünden und Schwächen, ganz

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