Die Mission des Zeichners
James McIlwraith. »Allerdings befürchte ich, dass er für keinen von uns gut sein wird.« In der rechten Hand hielt er eine Pistole, die er nun spannte und hob - doch nicht gegen Spandrel, sondern gegen Estelle. »Insbesondere nicht für Sie, Madam.«
»Was ist aus Ihrer Ritterlichkeit geworden, Captain?« Estelle grinste ihn herausfordernd an. »Jungen einsperren und Frauen bedrohen - wenn das nicht jämmerlich ist.«
»Jämmerlich vielleicht, aber zu einem erhabenen Zweck.«
»Dafür wirst du zahlen!«, drohte der junge Walpole, der sich jedoch bei all seinem Trotz nicht von der hinteren Tür fortwagte. »Du Hurensohn von einem Schurken!«
»Noch ein Wort von Ihnen, Sir«, entgegnete McIlwraith, »und mein Freund fesselt und knebelt Sie wieder.« Hinter seiner Schulter tauchte Tiberius Wagemaker auf. »Ein Wort, denken Sie dran. Mehr ist nicht nötig, um mich zu reizen.«
Edward Walpole starrte seine Entführer verstört an. Er war versucht, den Mund aufzumachen, doch dann besann er sich eines Besseren.
»Was sollen wir nur mit Ihnen beiden machen?«, sinnierte McIlwraith laut. »Die Ratte und die Hexe finden wir nun also in unserer Falle. Sind Sie wieder ihrem Zauber erlegen, Spandrel?«
»Wir müssen mit Ihnen reden, Captain«, erklärte Spandrel. »Darum sind wir gekommen.«
»Sie reden ja mit mir.«
»Allein.«
»Ach, allein? Damit Mrs. de Vries mir noch so eine süße Lüge in mein gutgläubiges altes Ohr träufeln kann ? Da bin ich anderer Meinung.«
»Wir haben mit dieser Mission unser Leben aufs Spiel gesetzt.«
»Allerdings.«
»Wollen Sie uns da nicht Ihrerseits einen kleinen Gefallen erweisen?« Spandrel sah dem Schotten fest ins Gesicht. »Ein vertrauliches Gespräch. Das ist nicht zu viel verlangt.«
»Trauen Sie ihnen nicht«, warnte Wagemaker.
»Ich traue Ihnen nicht!« McIlwraiths Ton wirkte auf einmal bissig. Seine merkwürdige Allianz mit einem ehemaligen Feind war sichtlich nicht im Himmel geschlossen worden. »Aber trotzdem spreche ich mit Ihnen. Na gut, Spandrel. Sie und Mrs. de Vries können aufs Dach steigen. Ich folge Ihnen zu einem vertraulichen Gespräch . Schließen Sie die Tür hinter ihnen ab, Wagemaker. Und stehen Sie bereit. Plunket!« Ein wie eine Vogelscheuche gekleideter, hagerer Bursche mit spitzem Gesicht, der in allem der Beschreibung des jungen Walpole von einem »verkniffenen Schurken« entsprach, kam um die Ecke geschlichen. »Geh zur Straße zurück und steh Wache. Und halte die Augen gefälligst offener als beim letzten Mal.«
»Jawohl, Sir.« Plunket verzog sich sofort und eilte mit großen Sätzen den Feldweg hinunter.
McIlwraith schien ihn bereits vergessen zu haben. »Nach Ihnen, Madam.« Er sicherte seine Pistole wieder und winkte Estelle zur Treppe. »Und achten Sie auf die Stufen. Wagemaker ist mit den Reparaturarbeiten in Verzug.«
Spandrel folgte Estelle langsam. In seinem Rücken hörte er einen gedämpften Wortwechsel zwischen McIlwraith und Wagemaker, vermochte aber kein Wort zu verstehen. Dann kam der Captain ihnen nach.
Das Dach war eine flache Bleipyramide mit dem Schornstein in der Mitte, um den ein von einer mit Zinnen bewehrten. Brüstung geschützter Rundgang verlief. Nach allen Richtungen bestimmte der Wald den Ausblick bis zum Horizont. Grün und tief erstreckte er sich im weicher werdenden Sonnenlicht, während die Sonne gemächlich durch eine Wolke weiter nach Westen wanderte. Ihr Stand verriet Spandrel, dass es auf den Abend zuging. Die Luft war auch schon kühler, allerdings bezweifelte Spandrel, dass ausgerechnet deswegen Estelle erschauerte.
»Sie frieren, Madam?« McIlwraith, der auf dem Treppenabsatz stand, war das offenbar auch aufgefallen. »Oder sind Sie nervös?«
»Weder noch, Captain. Eher ein leichter Schwindel. Ich bin nicht schwindelfrei.«
»Dann sollten Sie nicht so hoch hinaufsteigen, oder?«
»Ich möchte meine Schwächen lieber bezwingen, statt mich von ihnen beherrschen zu lassen.«
»Das habe ich schon gemerkt. Nun zu Ihrem vertraulichen Gespräch, Spandrel. Fassen wir uns bitte kurz. Mrs. de Vries mag nicht nervös sein, aber Mr. Wagemaker ist es sehr wohl, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Weiß er, dass Sie seinen Bruder getötet haben?«, fragte Spandrel.
»O ja. Ich habe es ihm persönlich gesagt, und er hat nicht gerade traurig gewirkt. Die zwei Brüder hatten sich zerstritten. Wegen dieser Sache, übrigens. Wegen des Waldes, genauer gesagt. Walpole hat hier in letzter Zeit seine Günstlinge
Weitere Kostenlose Bücher