Die Mission des Zeichners
nicht, aber eindeutig alles andere als nüchtern. Auch wenn Spandrel ihn noch nie zuvor gesehen hatte, kam er ihm irgendwie bekannt vor. Und im nächsten Augenblick erfuhr er den Grund dafür.
»Dieser Turm gehört mir, und auch das Land um ihn herum. Sie begehen Hausfriedensbruch, Sir. Und jetzt erklären Sie sich mir bitte.«
»Sind Sie Mr. Tiberius Wagemaker?«
»Allerdings.«
»Mein Name ist Spandrel. William Spandrel.«
»Nie von Ihnen gehört. Sie sehen nicht aus wie einer aus der Gegend.«
»Ich komme aus London.«
»Dann verziehen Sie sich gefälligst dorthin zurück!«
»Ich komme wegen...«
»Mr. Wagemaker?« Durch die Bäume drang Estelles Stimme laut und deutlich zu ihnen. Spandrel fuhr herum und sah, dass sie entschlossen auf sie zutrat. Als er sich wieder umdrehte, lächelte Wagemaker auf einmal.
»Ist diese Dame mit Ihnen gekommen, Spandrel?«
»Ja, Sir.«
»Dann sollte ich vielleicht öfter nach London fahren. Ihr Diener, Ma'am.« Wagemaker nahm seinen Hut ab und unternahm mit steifem Rücken den Versuch einer Verbeugung, mit der er ihnen sein höchst unregelmäßig wachsendes Haupthaar offenbarte. »Leider kenne ich Ihren ehrenwerten Namen nicht.«
»Ich bin Mrs. Davenport, Mr. Wagemaker. Mr. Spandrel und ich sind in einer Hilfsmission unterwegs.«
»Einer Hilfsmission, sagen Sie?« Wagemaker stemmte sich wieder hoch und setzte erneut seinen Hut auf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen schwer fallen würde, die härtesten Herzen zu öffnen, Madam. Und meines gehört weit und breit sicher zu den weichsten. Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Mr. Spandrel ist mein Bruder. Ich selbst bin eine Witwe, wie auch meine Schwester, die einen Sohn in Eton hat.«
»Er gereicht der Familie gewiss zur Ehre.«
»Er ist...« Estelle wandte sich ab, als ringe sie um Fassung. »Er ist entführt worden.«
»Entführt? Gütiger Gott!«
»Wir glauben, dass er irgendwo hier im Wald gefangen gehalten wird«, schaltete sich Spandrel ein.
»Haben Sie Colonel Negus informiert?«
»Wir sind mit diesem Herrn nicht bekannt, Sir.«
»Das ist der Deputy Lieutenant der Burg von Windsor. Wenn der Wald durchsucht werden muss...«
»Die Entführer haben gedroht, den Jungen umzubringen, wenn wir uns an die Behörden wenden«, erklärte Estelle. »Wir mussten das College in dem Glauben lassen, er sei nur weggelaufen. Wohingegen er in Wahrheit...« Sie hielt inne, um ihren Atem zu beruhigen, der sie im Stich zu lassen schien. »Das Lösegeld übersteigt die Möglichkeiten unserer Familie, Mr. Wagemaker. Unsere Schwester ist außer sich vor Sorge. Sie fürchtet, ihren Sohn nie wieder zu sehen. Und wir selbst sehen alle Hoffnung schwinden, es sei denn, wir finden den Ort, an dem sie ihn festhalten, bevor die Frist abläuft.«
»Wann... ?«
»Am ersten Mai«, sagte Spandrel rasch.
»Und heute ist schon der achtundzwanzigste April«, murmelte Estelle niedergeschlagen.
»Wir tun alles, was in dieser kurzen Zeit möglich ist«, fuhr Spandrel fort, »und suchen in jedem nur denkbaren abgelegenen oder leer stehenden Gebäude nach ihm. Im Roebuck Inn in Bagshot ist uns gesagt worden, dass beides für den Blind Man's Tower zutreffen würde.«
»Das ist richtig«, bestätigte Wagemaker. »Mein Großvater hat ihn zur Feier der Restauration des Königtums gebaut. Merkwürdig ist nur, dass...«
»Ja, Sir?«, half Spandrel nach.
»Na ja, meine Haushälterin - die zwar ein faules Stück ist, aber wenn sie will, durchaus scharf beobachten kann -, hat mir gesagt, sie hätte in den letzten Tagen merkwürdige Gestalten durch den Wald schleichen sehen. Darum bin ich heute Nachmittag hergekommen, um mir selbst ein Bild zu machen. Aber nichts hat sich gerührt, bis Sie aufgekreuzt sind.«
»Hier sind aber frische Stiefelabdrücke.« Spandrel deutete auf den Pfad.
»Wahrscheinlich meine eigenen.«
»Wenn ich mich nicht täusche, stammen sie von mehr als nur einem Paar Stiefel.«
»Von mir aus. Aber Sie können sich gern selbst davon überzeugen, dass der Turm leer ist. Ich lasse ihn immer verschlossen. Und ich würde schwören, dass niemand versucht hat, die Tür aufzubrechen.«
»Haben Sie einen Schlüssel dabei, Mr. Wagemaker?«, fragte Estelle.
»Ja, aber...«
»Ich würde es als großen Gefallen ansehen, wenn Sie uns einen Blick gestatten könnten.«
»Wirklich? Nun, in diesem Fall...« Wagemaker suchte in seiner Westentasche und förderte den Schlüssel zu Tage, ein großes, rostiges altes Ding. »Einer Lady
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