Die Mission des Zeichners
auszustatten. Von da an werden Sie ein freier Mann sein, aber nur aufgrund der Sachlage, nicht des Gesetzes.«
»Und Mrs. de Vries?«
»Ist schon an Bord der Tovenaer. Aber sie wird das Schiff nicht verlassen. Nicht bevor es Java erreicht.«
»Haben Sie darauf angespielt, als Sie sagten, die V. O.C. würde sich um sie kümmern?«
»Das habe ich de Vries' Grimassen und Mimik entnommen«, erklärte Walpole. »Ich nehme an, seine Stiefmutter weiß mehr über das Innenleben der V. O.C., als gut für den Seelenfrieden der Beteiligten ist. Darum ihre Verbannung nach Java. Und das ist auch gut für unseren Seelenfrieden, wenn ich bedenke, was sie alles über die South Sea Company weiß. Sie sind ein Nichts, Spandrel. Aber die schöne Estelle? Ihr Prozess ? Ihre Hinrichtung? Zu viel Aufsehen, viel zu viel. Und zwar für jeden. Darum haben wir einen Kompromiss geschlossen. Sie kommen frei. Sie geht... weit, weit weg. Und wir alle können freier atmen. Sie haben Glück, Spandrel.« »Dank Estelle.«
»Ja. Das ist das verflucht Unerklärliche daran. Wir beide, Sie und ich, wissen, was sie aufgegeben hat. Wie viel sie aufgegeben hat. Und es hätte sie sogar das Leben kosten können. Ihr Leben für das Ihre. Kein guter Handel, und wie mein Bruder mir zu verstehen gibt, würde eine Frau von ihrem Charakter nicht im Traum daran denken, sich auf derlei einzulassen. Aber das hat sie getan. Warum? Sie liebt Sie doch nicht etwa, oder?«
»Nein. Sie liebt mich nicht.« »Und Sie können nichts für sie tun?« »Nicht das Geringste.« »Hm, warum hat sie es dann getan?« »Ich weiß es nicht.«
»Ich würde sie fragen, wenn ich Sie wäre.« »Ja.« Spandrel griff mit unsicherer Hand nach dem Schlüssel. »Das werde ich tun.«
45 Auf dem Heimweg
Die Tovenaer hielt gemächlich Kurs auf die offene Nordsee. Das Wetter war klar und ruhig, auf dem sich sanft zum Horizont hin wölbenden Wasser glitzerte und tanzte das Sonnenlicht. Der Wind war allenfalls als leichte Brise zu spüren. Es war ein schöner Frühsommernachmittag. Was gedroht hatte, der letzte Nachmittag von Spandrels Leben zu werden, bedeutete nun einen Beginn - die Fortsetzung eines wieder geschenkten Lebens.
Spandrel und Estelle de Vries standen auf dem Achterdeck und sahen die holländische Küste an sich vorbeigleiten. Zum ersten Mal seit Spandrels Eintreffen in der Morgendämmerung war es ihnen gestattet worden, ihre Kabinen zu verlassen. Der Schiffsmeister, Kapitän Malssen, hatte sich streng an die Anordnungen eines zur V. O.C. gehörenden Großkaufmanns namens Gustaaf Dekker gehalten, der ebenfalls mitreiste und mit Estelle gut bekannt war. Offenbar befürchtete Dekker nicht mehr, dass die zwei heimlich von Bord gehen oder ihn sonst wie überlisten würden, und zeigte sich großzügig. So bekam Spandrel die Gelegenheit, Estelle für etwas zu danken, das sie getan hatte und das er immer noch nicht glauben konnte.
»Du hast mir das Leben gerettet«, fasste er zu guter Letzt lahm, aber zutreffend die Wahrheit in Worte. »Ich werde immer in deiner Schuld stehen.«
»Und du wirst immer in meinem Herzen sein«, erwiderte Estelle lächelnd. »Auch wenn du es nicht glaubst, ich habe eines.«
»Jetzt glaube ich dir.«
»Aber trotzdem überrascht dich das, wie?«
»Ich gebe es zu, ja.«
»Mich auch, nach allem, was ich getan habe. Wenn du mich früher gefragt hättest, hätte ich gesagt, es gäbe keine Bürde, die mein Gewissen nicht ertragen würde, solange ich dafür ein bequemes Leben voller Vergnügen bekäme. Das hat mir Walpole gegeben, und das hätte ich nach Belieben weiter genießen können.« Sie atmete tief durch, während sich das Segel über ihnen blähte. »Ich hätte nur das Versprechen zu vergessen brauchen, das ich Captain McIlwraith gegeben habe. Ach, und auch dich hätte ich vergessen müssen, William. Aber anscheinend konnte ich das nicht. Ich habe Walpole gebeten, dich nicht nach Amsterdam auszuliefern. Ich habe ihn angefleht, wie ich noch nie in meinem Leben gefleht hatte und es auch nie wieder tun werde. Doch er hat mich zurückgewiesen. Er hat mir gesagt, es sei eine... Frage des politischen Interesses. Aber das war eine Lüge. In Wahrheit war er eifersüchtig auf den Platz, den du in meinem Herzen hast, und natürlich auch wütend, weil er glaubte, du hättest seinen Sohn in Gefahr gebracht. Er hat dich aus Trotz nach Amsterdam geschickt. Und er dachte, es gäbe nichts, was ich noch tun könnte, um dich zu retten. Tja, da hatte er sich
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