Die Mission des Zeichners
dort hatte er sich angefreundet, und der hatte ihm dann eine Stelle als Sekretär im Liverpooler Büro der Reederei seines Vaters verschafft, wo Zuyler die nächsten drei Jahre verbrachte, ehe seine Talente Ysband de Vries aufgrund einer Empfehlung des holländischen Agenten der Ostindien-Gesellschaft in Liverpool zu Ohren kamen. Der Möglichkeit, in sein Heimatland zurückzukehren, konnte er einfach nicht widerstehen, aber später sollte er bedauern, dass er sie ergriffen hatte.
»De Vries ist ein harter Mann«, hatte Zuyler erklärt, nachdem der Schnaps seine Zunge gelockert hatte. »Aber wer erwartet schon etwas anderes? Ich bestimmt nicht. Trotzdem ist er hart, und wie! De Vries ist Granit, durch und durch. Dazu geizig, böse und hinterhältig. Wie Sie ja selbst herausgefunden haben.«
»War für eine Art von Leben führt Mrs. de Vries mit ihm?«
»Das weiß ich nicht. Sie beklagt sich nie. Jedenfalls nicht bei mir. Ihr Verhalten als Ehefrau ist mustergültig. Und er stellt sie als Trophäe zur Schau, damit ihn seine Feinde nur umso heftiger hassen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ihm nicht daran gelegen sein kann, dass seine Beute« -Zuyler warf Spandrel einen viel sagenden Seitenblick zu -»beschädigt wird.«
»Sie trauen ihm das zu?«
»Ich traue ihm alles zu.«
»Dann ist er ein Furcht erregender Feind.«
»Allerdings.«
»Wie kann ich ihm entgehen?«
»Sie müssen fliehen. Und zwar weit weg. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
»Ich muss auf meine Mutter Rücksicht nehmen.«
»Nach allem, was Sie mir erzählt haben, scheint mir, dass Sie sie in dem Glauben lassen müssen, Sie seien tot. Janssen wird mit Sicherheit von jedem Briefverkehr zwischen Ihnen erfahren.«
»Würden Sie in meiner Lage etwa so handeln?«
Lange starrte Zuyler nachdenklich in das Feuer, ehe er antwortete: »Ich muss Ihnen gestehen, nein.«
»Was würden Sie dann tun?«
»Es kommt eine Zeit, mein Freund, in der ein Mann sich gegen seinen Feind erheben muss. Ich kann nicht sagen, ob diese Zeit für Sie gekommen ist. Aber was mich betrifft, wenn ich Sie wäre...«
»Wäre es so weit.«
»Ja«, hatte Zuyler mit einem bedeutsamen Nicken geantwortet. »Ich glaube, ja.«
Und darüber grübelte Spandrel, während er auf der Pritsche lag und schlaflos in die Dunkelheit starrte. Wenn er floh, rannte er vor allem weg. Es gab nichts, was er mitnehmen konnte, nicht einmal seine Vergangenheit. Und seine Zukunft wäre ein leerer Bogen Papier, ein unvermessenes Nichts. So sah sein Schicksal aus, das er mächtigen Männern zu verdanken hatte, und das war alles, worauf er hoffen konnte. Es sei denn...
Ein regenverhangener Morgen brach an. Durch das Kellerfenster sah Spandrel seinen grauen Schimmer auf dem Straßenpflaster. Er hatte ein wenig Kaffee gefunden und in einer Kanne aufgebrüht. Der aromatische Duft weckte Zuyler. Sie saßen vor den glühenden Resten des Feuers und tranken. Ein Gespräch kam zunächst kaum zustande. Beide waren merkwürdig befangen, vielleicht weil jeder darauf wartete, dass der andere das Thema ansprach, mit dem sie vor wenigen Stunden gerungen hatten, ohne wirklich zu einem Schluss zu kommen.
»Ich muss bald gehen«, erklärte Zuyler schließlich mit einem schmallippigen Lächeln. »De Vries ist kein Freund von Verspätungen.«
»Ich sollte eigentlich auch längst weg sein.«
»Mein Kleiderschrank steht Ihnen zur Verfügung. Nehmen Sie sich, was Sie brauchen. Ich bin vielleicht etwas größer und meine Kleider dürften Ihnen an den Armen und Beinen zu lang sein. Das kann ich leider nicht ändern. Und es wäre bestimmt kein Fehler, meinen Hausherrn zu bitten, Ihnen die Rippen zu verbinden.« Zuyler deutete mit dem Kinn nach oben. »Barlaeus ist ein freundlicher Kerl. Und ein besserer Arzt als viele, die sich Doktor nennen. Und für Ihren weiteren Weg kann ich wohl einen Gulden erübrigen.«
»Meinen Weg wohin?«
»Weit weg von Amsterdam ist das Einzige, was ich Ihnen vorschlagen kann.«
»Gestern Nacht haben Sie mir noch etwas anderes vorgeschlagen.«
»Das ist wahr. Haben Sie es sich überlegt?«
»Ja.«
Die zwei Männer sahen einander an; kühl und nüchtern nahmen sie die Bedeutung von Spandrels Antwort zur Kenntnis.
»Was soll ich tun, Zuyler? Wie soll ich gegen ihn vorgehen?«
»Sind Sie sicher, dass ich es Ihnen sagen soll?«
»O ja. Unbedingt!«
»Na gut.« Zuyler beugte sich begierig vor. Die Intrige, auf die er sann, brachte seine Züge fast zum Leuchten. »Ihre einzige
Weitere Kostenlose Bücher