Die Mission des Zeichners
mir von einer um die Ecke vertäuten Barke einen Bootshaken geliehen und habe damit versucht, Sie herauszufischen.«
»Sie sind ein guter Fischer, Zuyler, das muss Ihnen der Neid lassen.«
»Danke. Es kommt nicht oft vor, dass ein einfacher Sekretär die Gelegenheit hat, jemandem das Leben zu retten.«
»Tja«, murmelte Spandrel leise, »wenn es Ihnen darum ging, mich zu retten, ist Ihnen das leider nicht ganz gelungen.«
»Wie das?«
Spandrel seufzte. Er war mittlerweile wieder so klar im Kopf, dass ihm seine Notlage in ihrer ganzen Trostlosigkeit offenbar wurde. Er lebte, doch in vielerlei Hinsicht wäre sein Tod wünschenswerter gewesen. De Vries selbst hatte keinen Grund gehabt, einen Mörder auf ihn anzusetzen, es sei denn, um einem Freund einen Gefallen zu tun - und zwar seinem ältesten Freund, Sir Theodore Janssen. Er, Spandrel, hatte in Janssens Auftrag de Vries die Kassette ausgehändigt. Andererseits hatte Janssen verhindern wollen, dass er mit einem Beweis der Übergabe zurückkehrte. Das hatte er eindeutig nicht so vorgesehen.
»Spandrel?«
»Der Brief, mit dem Janssen de Vries mein Kommen angekündigt hat« - Spandrel sah abrupt auf - »haben Sie ihn gesehen?«
»Nein.«
»Also wissen Sie auch nicht, ob Sir Theodore seinen guten alten Freund Ysbrand in diesem Brief gebeten hat, dafür zu sorgen, dass ich Amsterdam nicht lebend verlasse.«
»Glauben Sie das denn?«
»Was sollte ich sonst glauben?«
»Wie käme er auf so eine Idee?«
»Weil er die Dienste eines diskreten und verlässlichen Kuriers in Anspruch nahm.« Spandrel war klar, warum er und nicht Jupe oder ein anderer Lakai für diese Mission ausgewählt worden war. Er war leicht zu beeinflussen und noch leichter zu entbehren, kurz, er stellte den besten möglichen Kandidaten dar. »Verstehen Sie, Zuyler, es gibt keinen verschwiegeneren Boten... als einen toten.«
6 Ränke und Hinterhalte
In dieser Nacht schlief Spandrel wenig. Bis in die frühen Morgenstunden saßen er und Zuyler vor dem flackernden Feuer und redeten. Nachdem sich der Holländer schließlich in sein Bett im Hinterzimmer gelegt hatte, versuchte Spandrel, es ihm gleichzutun und auf der Pritsche vor dem Kamin noch ein wenig zu ruhen, doch er konnte einfach nicht einschlafen. Die Rippen taten ihm weh, und egal wie er sich hinlegte, stets schmerzte ihn irgendeine Stelle.
Bei seiner Erschöpfung hätte freilich nichts von all dem vermocht, ihn wach zu halten. Es waren diese Gedanken, diese unaufhörlich durch seinen Kopf wirbelnden Gedanken, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Und sein inneres Auge starrte gebannt in seine Zukunft, die alles andere als sicher war.
Er hatte überlebt. De Vries und bald auch Sir Theodore Janssen mussten ihn für tot halten, aber das war er nicht. Und das war der einzige Vorteil, den er ihnen gegenüber hatte. Leider wurde er von schweren Nachteilen aufgewogen. Die Kassette hatte er überbracht, doch die von de Vries unterzeichnete Quittung war ihm gestohlen worden und mit ihr all sein Geld. Er konnte de Vries wohl kaum um Ersatz bitten, ohne damit einen neuerlichen Anschlag auf sein Leben heraufzubeschwören. Ebenso wenig konnte er nach England zurückkehren und Sir Theodore bitten, ihre Vereinbarung auch ohne Bestätigung einzuhalten. Nicht dass er jetzt noch glaubte, Sir Theodore würde sich an sein Wort halten. Im Gegenteil, seine Schulden würden nicht getilgt werden. Seine Karte von London würde unvollendet bleiben.
Was nun? Er hatte kein Geld für eine sichere Fahrt aus der Stadt hinaus. Er hatte kaum noch Kleider am Leib, denn die, in denen er aus dem Kanal gezogen worden war, waren von Schlamm und Schmutzwasser derart besudelt, dass er sie kaum noch tragen könnte, es sei denn in äußerster Not. Zwar hatte ihm Zuyler ein Nachthemd geliehen, doch er konnte nicht von ihm erwarten, dass er ihm seine Garderobe zur Verfügung stellte.
Nein, Zuyler hatte wahrhaftig schon genug für ihn getan. Zugegeben, bei ihrer ersten Begegnung hatte er wortkarg, um nicht zu sagen barsch, auf ihn gewirkt, aber seine Taten hatten lauter gesprochen als seine vorsichtigen Worte. Und das, was er Spandrel über sich selbst erzählt hatte, verriet, dass sie sich in vielerlei Hinsicht ähnlich waren. Von seinem klugen, aber mittellosen Vater zu höherer Bildung als in seinem Stand üblich erzogen, hatte Pieter Zuyler von den vielen Studenten an der Universität seiner Heimatstadt Leiden Englisch gelernt. Mit einem der etwas wohlhabenderen Burschen
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