Die Mission des Zeichners
schwedische Botschafter drückte sein vollstes Verständnis dafür aus, dass Dalrymple nicht mehr lange bleiben konnte, und die Beileidsbekundungen aller Anwesenden begleiteten ihn beim Abschied. Während er zur nahe gelegenen Botschaft stürmte, überlegte sich Dalrymple schon, wie er jeden Bediensteten, der sich dort noch aufhielt, fertig machte, weil ihm am frühen Abend niemand die Nachricht überbracht hatte. In seinem Vorzimmer traf er Harris an. Der kam ihm gerade recht. Er wollte ihn schon mit Beschimpfungen überschütten, als er einen Fremden bemerkte, der sich am Kamin wärmte.
Es war ein finster dreinblickender Mann mit hervorquellenden Augen, einer Nase, die einem Ringkämpfer alle Ehre gemacht hätte, und einer auffälligen Narbe quer über der Stirn. Sein grau gesprenkeltes, schwarzes Haar war hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine Kleider waren alt und staubig, aber von guter Qualität. Dalrymple, der einen Hang zu stutzerhaftem Auftreten hatte, wusste ein edles Tuch an seinem Schnitt zu erkennen, selbst wenn es abgetragen und vom Reisen verschmutzt war. Außerdem erkannte er einen Krieger schon an der Art und Weise, wie er das Schwert trug. Und dieser hier war von Natur aus ein Krieger, auch wenn er vielleicht schon zu alt war, um sich noch ins Getümmel zu stürzen.
»Sie sind Dalrymple?«, knurrte der Bursche, ohne sich mit Höflichkeitsfloskeln abzugeben. Seine Stimme hatte einen schottischen Tonfall, was Dalrymple als ausreichende Erklärung für sein brüskes Auftreten wertete.
»Der bin ich, Sir. Wer ist dieser... Herr, Harris?«
»McIlwraith«, sagte der andere, bevor Harris dazu kam, den Mund zu öffnen. »Captain James McIlwraith.«
»Und was kann ich für Sie tun, Captain McIlwraith?«
»General Ross hat mich geschickt.«
»Wer?«
»General Charles Ross, Parlamentsabgeordneter und Mitglied des vom Unterhaus eingesetzten Ausschusses zur Untersuchung des Bankrotts der South Sea Company. Der Ausschuss hat ihn damit beauftragt, die Unterlagen des Kassenführers Knight zu bergen. Ich bin in seinem Namen hier.« McIlwraith zog einen Papierbogen aus der Rocktasche und reichte ihn Dalrymple. »Darin werden Sie aufgefordert, mir jede nötige Unterstützung zu gewähren.«
»Ach, wirklich?« Dalrymple las das Dokument. Es trug das Siegel des Unterhauses, Ross' Unterschrift und die Gegenzeichnung von Thomas Brodrick, der, wie Dalrymple wusste, der Vorsitzende des fraglichen Ausschusses war. Folglich bestand wohl - abgesehen von McIlwraiths niederem Rang und ungehobeltem Auftreten - kein Grund, an seiner Echtheit zu zweifeln. »Nun gut, offenbar ist es tatsächlich so.«
»Ich wäre Ihnen für ein Gespräch unter vier Augen dankbar.«
»Lassen Sie uns allein, Harris.« Eilfertig kam der Angesprochene der Aufforderung nach. Dalrymple stolzierte zu seinem Schreibtisch und nahm mit einer - seiner Meinung nach - patrizierhaften Pose dahinter Platz. »Sie sind mit General Ross persönlich bekannt, Captain?«
»Ich habe unter ihm gedient.«
»Im letzten Krieg.«
»Ich hatte diese Ehre.«
Jetzt konnte sich Dalrymple ein Bild von diesem Mann machen. Acht Jahre waren seit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges vergangen, mehr als zehn seit den letzten großen Schlachten. Dennoch traf man sie noch überall in den Tavernen an, die vernarbten, mit Orden behängten Überlebenden von Gewehr- und Kanonenbeschuss, die von einem neuen Kugelhagel träumten wie andere vielleicht vom Paradies. Zweifelsohne hatte McIlwraith den Feind in Blenheim und Ramillies und bei Marlboroughs anderen blutgetränkten Siegen in Angst und Schrecken versetzt. In Friedenszeiten hätte er nie Offizier werden können, und wenn er es bloß zum Captain gebracht hatte, legte das den Schluss nahe, dass er im Krieg ziemlich eigensinnig gewesen sein musste. Aber General Ross vertraute ihm bestimmt mit gutem Grund. McIlwraith bekam seine Befehle und würde sie ohne Rücksicht auf Verluste ausführen.
»Sie haben Knight in der Zitadelle von Antwerpen eingesperrt«, erklärte McIlwraith. »Ich war gestern Abend dort.«
»Hätten Sie nicht dort bleiben sollen, Captain? Wenn Sie seine Dokumente... ?«
»Wo steckt Kempis?«
»Wer?«, fragte Dalrymple mit sanfter Stimme, krampfhaft darum bemüht, sich seine Verblüffung nicht anmerken zu lassen.
»Kempis. Der Mann, von dem Sie Lord Stanhope geschrieben haben.«
»Meine Korrespondenz mit dem Minister kann doch für einen Parlamentsausschuss nicht von Belang sein.«
»O
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