Die Mission des Zeichners
tatsächlich eine Zusammenfassung von Knights größten Geheimnissen darstellte, musste doch jedem, selbst Dalrymple, klar sein, dass dieser Mann es nie aus der Hand gegeben hätte. Dalrymple glaubte wohl, dass die bloße Nennung von etwas, das er im Stil eines Märchenerzählers aufgeregt mit Großbuchstaben als »Das Grüne Buch« bezeichnete, schon irgendwie die Unverschämtheit rechtfertigte, mit der er ein solches Ansinnen an ihn weiterleitete. Aber er, Stanhope, würde ihm eine Lehre erteilen. Dieser Kempis war eindeutig ein Scharlatan und konnte allenfalls Dummköpfe verzaubern. Wegen der Dummheit anderer plagten Stanhope wirklich schon genug Probleme. Das hier war ein Fall, in dem er hart durchgreifen würde.
Stanhope griff nach seiner Feder, tauchte sie ins Tintenfass und begann zu schreiben. Dalrymple würde nicht lange auf seine Antwort warten müssen, und sie würde kurz, aber alles andere als schön ausfallen.
Unterdessen verfasste auch Nicholas Cloisterman einen Brief. Sein Gespräch mit dem widerwärtigen Jupe hatte ihn davon überzeugt, dass hinter Ysbrand de Vries' Ermordung finstere Machenschaften steckten. Das Päckchen, das Spandrel de Vries in Sir Theodore Janssens Auftrag überbracht hatte, enthielt etwas, das einen Mord wert war und das einen Zusammenhang zwischen der Flucht Robert Knights und der bankrott gegangenen South Sea Company bewies. Cloisterman wusste nicht, was das sein konnte, und war in vielerlei Hinsicht froh darüber. Dennoch konnte er jetzt das bisschen, was er wusste, nicht länger für sich behalten. Dalrymple, der Charge d'Affaires an der Botschaft in Den Haag, musste es erfahren. Sollte er dann damit anstellen, was er wollte, Cloisterman hätte seine Pflicht getan. Zumindest würde man es so sehen. Und das war, wie er fand, auf die Dauer doch viel wichtiger.
10 Ein hoher Preis
Evelyn Dalrymple, Charge d'Affaires an der britischen Botschaft in Den Haag, musterte den Besucher voller unterdrückter Besorgnis. Kempis war wegen seiner Antwort gekommen. Und wie diese Antwort lauten sollte, hatte ihm Lord Stanhope mit deutlichen Worten klar gemacht. Ja, er hatte ihm sogar mit mehr als deutlichen Worten klar gemacht, dass er es nicht nötig haben sollte, sich sagen zu lassen, wie man eine solche Forderung behandelte. Doch Stanhope hatte Kempis nie gesehen. Und während Dalrymple nun dem Holländer in die dunklen Augen starrte, vermochte er darin keinerlei Schwäche oder keinerlei Unsicherheit bezüglich seiner Forderungen zu entdecken. Er sah nicht aus wie ein Mann, den kurzerhand rauszuwerfen der Weisheit letzter Schluss war.
Außerdem war Dalrymple wegen mehrerer Nachrichten beunruhigt, die ihm in den letzten Tagen in die Quere gekommen waren. Von der Botschaft in Brüssel hatte er die Mitteilung erhalten, dass am Freitag, dem Tag, an dem ihm Stanhope geschrieben hatte, Robert Knight bei dem Versuch, Brabant zu verlassen, verhaftet und in die Zitadelle von Antwerpen überstellt worden war. Von in seinem Besitz befindlichen Dokumenten war nichts erwähnt worden. So konnte Dalrymple nur annehmen, dass Beweismittel, sofern man welche gefunden hatte, inzwischen auf dem Weg nach London zu Stanho-pes Schreibtisch in der Whitehall war. Merkwürdigerweise schien aber Cloisterman, der Vizekonsul in Amsterdam, davon überzeugt zu sein, dass irgendein wichtiges Dokument über die South Sea Company sich jetzt im Besitz des verschollenen Sekretärs und der Witwe eines ermordeten Kaufmanns namens de Vries befand. In einem Brief hatte er Dalrymple ermahnt, stets auf der Hut zu sein, aber wovor, dazu hatte er sich nicht geäußert - typisch für ihn.
Für zusätzliche Komplikationen sorgte ein Bericht über die Debatte im Oberhaus vom Samstagabend, der ihn am selben Morgen erreichte. Offenbar hatte sich Sir John Blunt geweigert, vor den versammelten Lordschaften zu bestätigen, was er Brodricks Ausschuss anvertraut hatte. Die Diskussion war erbittert geführt worden, doch ergebnislos geblieben. Wie es hieß, war Lord Stanhope mitten in einem wütenden Wortwechsel mit dem Duke of Wharton »erkrankt«. Über seinen gegenwärtigen Zustand war nichts bekannt.
Alles in allem vermochte Dalrymple nicht zu erkennen, wie er in eine noch unangenehmere Lage hätte geraten können. Knights Dokumente waren verschollen. Stanhope war krank. Cloisterman war hinter etwas her oder heckte irgendetwas aus, und Kempis drängte auf eine Antwort. Unter solchen Umständen, wie auch unter vielen anderen, griff
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