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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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langem Warten ausstellte. Hätten sie diese nicht den Schweizer Zollbeamten vorgelegt, wären sie umgehend mit der Begründung, sie seien Träger der Pest, die sich aus Frankreich in die Pfalz eingeschlichen hätten, zurückgeschickt worden. Misshelligkeiten wegen Ausweispapieren waren kurz darauf in Freiburg gefolgt, als sie versehentlich in die österreichische Enklave Breisgau geraten waren. McIlwraith hatte wegen all der Verzögerungen getobt und danach die Pferde zu einer umso schnelleren Gangart angetrieben. Spandrels Erinnerung daran bestand nur noch aus Ritten bis zur Erschöpfung in scheinbar ewiger Dämmerung, und das auf vereisten Wegen am Rande von schier endlosen, verschneiten Wäldern. Reisen, das hatte er begriffen, war nicht das aufregende Erlebnis, das er sich in seinen kindlichen Träumen beim Betrachten der Karten seines Vaters vorgestellt hatte.
    Auf Zuyler und Estelle de Vries hatten sie in unregelmäßigen Abständen Hinweise erhalten, nach denen das Paar ihnen nur noch wenige Tage voraus war. Spandrel tröstete sich mit der Vorstellung, dass diese Reise ihnen wahrscheinlich genauso wenig behagte wie ihm. Von Jupe dagegen fehlte jede Spur, was Spandrel zu der Spekulation veranlasste, dass er aufgegeben haben könnte. Doch McIlwraith hatte ihn daraufhin nur mit Spott überschüttet. »Er war schlau genug, sich allein auf den Weg zu machen, Mann! Das ist alles. Wäre ich nur seinem Beispiel gefolgt, statt mir einen Kerl aufzuhalsen, der wie eine Nonne auf einem Esel reitet und mir in einem fort die Ohren voll jammert!«
    Obwohl sich derlei Beleidigungen häuften, hatte Spandrel eine erstaunliche Zuneigung zu seinem Gefährten gefasst. McIlwraith schien der einzige Mensch zu sein, der ihm seit seiner Abreise aus England die Wahrheit gesagt hatte, so unbequem sie bisweilen auch sein mochte. Das hatte nicht so sehr mit Spandrels Vertrauen zu ihm zu tun, sondern mit einem Gefühl der Sicherheit, das er in McIlwraiths Gegenwart empfand. Dieser Mann strahlte Ruhe und Kraft aus. Er hatte Spandrel viel abverlangt, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was er von sich selbst forderte.
    Wie auch immer, für Spandrel stand fest, dass sie in der Schweiz einen schweren Rückschlag erleiden würden. Da die Rhone gesperrt war, führte der einzige Weg nach Italien über die Alpen. Und am Ende des Winters kam dafür nur ein Pass in Betracht, der Simplon. McIlwraith erwartete ebenfalls, dass ihre Reise dort enden würde. Über das Wie und Warum ließ er sich nicht aus. Vielleicht wusste er es selbst nicht. Vielleicht aber, sinnierte Spandrel, hielt er es nicht für klug, darüber zu reden.
    Sie verließen Basel früh am nächsten Morgen und erklommen den Jura bei herrlich trockenem, kaltem Wetter. Spandrel hatte sich die Alpen als eine zerklüftetere und vielleicht verschneitere Version der Berge des Schwarzwalds, an denen sie vorbeigeritten waren, vorgestellt. Doch als er die Gipfel sich am Horizont auftürmen sah, gewaltig, weiß und abweisend, erkannte er, was für eine schwierige Barriere sie in Wirklichkeit bedeuteten, und konnte sich nicht vorstellen, dass ein Weg hindurchführte.
    »Die flößen einem ganz schön Angst ein, was, Spandrel?«, meinte McIlwraith. »Aber vergessen Sie nicht: Genauso werden sie auch auf unseren verwöhnten Holländer und die Dame seines Herzens wirken. Jetzt haben wir sie, wie Ratten in der Falle.«
    Sie stiegen vom Höhenzug ins Tal der Aare hinab und folgten deren gewundenem Lauf bis zum unmittelbar an ihrem Steilufer gelegenen Bern, das sich auf einer von einer weiten Flussschleife eingefassten Ebene ausbreitete. In der Abenddämmerung betraten sie Bern durch das Westtor der Stadtmauer: Für Spandrel war es nur eine von vielen Ankünften im Zwielicht, von der Reise erschöpft und verschmutzt. Am Tor ließen sie sich einen Gasthof empfehlen, die Drei Tassen, und zogen müde durch schlecht beleuchtete Kopfsteinpflasterstraßen dorthin. Nachdem sie ein Zimmer bekommen und die Pferde in den Stall gebracht hatten, gingen sie auf der Suche nach Speise und Trank in die Schankstube. Das war ihnen nach Aufenthalten in einem halben Dutzend anderer Städte längst zur Gewohnheit geworden.
    Nach dem Essen zündete sich McIlwraith seine Pfeife an und starrte missmutig ins Feuer. Auch das war bei ihm eine Gepflogenheit. Eine Wiederholung der Ausschweifung von Köln mit im Rausch erzählten Anekdoten hatte er sich seitdem nicht mehr gestattet.
    Spandrel fühlte sich warm und gesättigt.

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