Die Mission des Zeichners
zwei Tage seit ihrer Abreise aus Den Haag hatten Cloisterman körperlich wie seelisch ausgelaugt. Wagemaker war ein einsilbiger und verständnisloser Weggefährte, der zu glauben schien, dass Cloistermans Deutschkenntnisse und seine Fähigkeit, einige von den Gesuchten zu identifizieren, mangelndes Geschick mit Pferden und fehlende Ausdauer wettmachen würden - aber nur gerade so eben. Cloisterman nahm ihm das übel, konnte aber nichts dagegen unternehmen, solange er am kürzeren Ende des Hebels saß. Vom Essen und vom Wein in der Grauen Gans neu belebt und ermutigt, beschloss er nun jedoch zurückzuschlagen, und zwar auf die einzige Art, die ihm möglich war: Er stellte Wagemakers Taktik in Frage.
»Wir mögen McIlwraith und Spandrel ja auf den Fersen sein, Colonel, aber die zwei Leute, die das haben, was wir eigentlich wollen, haben uns doch abgehängt. Mir will nicht in den Kopf, wie Sie da noch hoffen, sie einzuholen.«
»Ich glaube, dass wir das schaffen werden.«
»Und worauf beruht Ihr... Glaube?«
»Er beruht auf der Tatsache, dass Zuyler und Mrs. de Vries eine schwere Entscheidung zu treffen haben, wenn sie die Schweiz erreichen. Die Alpen überqueren? Oder mit dem Boot die Rhone nach Marseille hinunterfahren, sich dort nach einem Schiff nach, sagen wir, Neapel umsehen und hoffen, von dort nach Rom zu kommen?«
»Auf der Rhone können sie nicht fahren«, erklärte Cloisterman, der sich unvermittelt auf Wagemakers Argumente einließ.
»Warum nicht?«
»Weil im letzten Sommer die Pest in Marseille ausgebrochen ist. Der Hafen ist immer noch gesperrt. Auf der Rhone verkehren keine Boote mehr. Laut unseren Berichten herrscht fast in der ganzen Provence das Chaos. Niemand, der bei Trost ist, würde versuchen, dorthin zu gelangen.«
»Das habe ich auch gehört. Welchen Weg nehmen sie dann?«
»Über die Alpen. Sie müssen.«
»Zu dieser Jahreszeit? Sogar allein würde ich mir das zweimal überlegen. Dann noch mit einer Frau... Damit beschwört man ja Probleme geradezu herauf.«
»Was bleibt ihnen anderes übrig?«
»Sie könnten milderes Wetter abwarten.«
»Aber das hieße, womöglich ein, zwei Monate zu verlieren.«
»Sie werden also nicht warten. Trotzdem glaube ich nicht, dass sie dieser Strapaze gewachsen sind. Wie ich das sehe, werden sie es versuchen und bald aufgeben, wenn sie merken, wie schwierig und gefährlich der Weg ist. Und bis dahin« - Wagemaker schloss die rechte Hand um einen imaginären Hals -»haben wir sie eingeholt.«
»Und auch McIlwraith.«
»Ja. Und Jupe ebenso. Aber wenn es einfach wäre« - Wagemaker öffnete die Faust und starrte seine Handfläche an -»hätte man nicht mich entsandt.«
Als Minister James Craggs der Jüngere im Alter von fünfunddreißig Jahren an den Pocken starb, ließ sich das Parlament nicht lange von seinen Maßnahmen gegen die im Brodrick-Ausschuss beschuldigten Regierungsmitglieder ablenken. Walpoles Vorschlag einer Anklage vor dem Oberhaus wurde ignoriert, wobei sich allerdings schwer beurteilen ließ, ob ihn das ärgerte oder nicht. Stattdessen beschlossen die Abgeordneten, die Fälle jeweils selbst zu beurteilen, was Walpole - ob zufällig oder nicht - in die Lage versetzte, in dem Verfahren eine aktive Rolle zu spielen und sein Ergebnis zu beeinflussen... in die eine oder die andere Richtung.
»Der Erwerb oder der Besitz von Anteilen, die die South Sea Company zum Vorteil von Angehörigen beider Parlamentshäuser oder von mit Regierungsangelegenheiten befassten Personen (in dem Zeitraum, in dem die Ansinnen der Gesellschaft oder das diesbezügliche Gesetz im Parlament zur Debatte standen) zum Zwecke der Anerkennung wertvoller Gegenleistungen verteilte«, beschloss das Unterhaus nach mehrtägiger Debatte, »waren korrupte, verwerfliche und gefährliche Machenschaften zum großen Schaden von Ehre und Gerechtigkeit des Parlaments und der Interessen der Regierung Seiner Majestät.«
Damit war die Anklage erhoben worden. Nun mussten sich die Beschuldigten verteidigen.
Der Prozess gegen den ersten Angeklagten, Charles Stanhope, war noch in der Schwebe, als McIlwraith und Spandrel in unmittelbarer Nähe von Basel die Schweizer Grenze überquerten. Hinter ihnen lag eine ungemein strapaziöse Woche, in der sie beinahe fünfhundert Meilen bewältigt hatten. In Heidelberg hatte man sie den größten Teil eines Tages aufgehalten, weil der Magistrat auf einer Gesundheitsbescheinigung bestand, die ihnen dann ein Arzt, der selbst kaum Zeit hatte, nach
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