Die Mission des Zeichners
Bald fiel es ihm schwer, die Augen offen zu halten. Er schob seine schmerzenden Glieder aus der Bank und erklärte, dass er sich schlafen legen wolle. McIlwraith wünschte ihm eine gute Nacht und blieb, wo er war. Aus Erfahrung wusste Spandrel, dass es ein, zwei Stunden dauern konnte, bis McIlwraith ihm folgte. Und dennoch stand der Captain noch vor der Dämmerung wieder auf. Ein besonders ausgeprägtes Schlafbedürfnis schien er nicht zu haben.
Spandrel dagegen brauchte jede Stunde, die er ergattern konnte. Im Durchgang, der zu den Treppen führte, kehrte er dennoch um und trat noch einmal auf den Hinterhof hinaus. So kalt es draußen auch war, er musste sich noch um die Pferde kümmern, ehe er endlich ins warme Bett kroch.
Wenige Minuten später befand er sich bereits wieder, die Arme fest gegen die Brust gepresst, auf dem Rückweg durch den Hof. Er hatte schon fast die Tür erreicht, als ihm aus dem Schatten jenseits des Lichtscheins der am Rahmen aufgehängten Laterne eine Gestalt in den Weg trat.
»Spandrel.«
Es war kaum mehr als ein Flüstern. Dennoch kam die Stimme Spandrel auf Anhieb bekannt vor, auch wenn er sie nicht sofort mit einem Namen verbinden konnte. Er blieb gerade noch rechtzeitig stehen, bevor er mit dem Mann zusammenprallte, und beäugte ihn im fahlen Licht.
»Was tun Sie hier, Spandrel?«
»Wer sind Sie?«
»Erkennen Sie mich nicht?«
»Ich... bin nicht sicher.«
Der Mann trat einen Schritt zurück, sodass das Licht auf sein Gesicht fallen konnte. Jetzt konnte Spandrel deutlich sehen, wer er war.
»Sie.«
»Ja.« Der Mann nickte. »Ich.«
»Was wollen Sie?«
»Eine Antwort auf meine Frage. Eigentlich sollten Sie doch in Amsterdam im Gefängnis sitzen und auf Ihren Prozess wegen Mordes warten. Was haben nun Sie und Ihr neuer Freund... ausgerechnet hier zu tun?«
16 Zum Greifen nahe
»Wollten Sie sich nicht ins Bett legen?« McIlwraith sah stirnrunzelnd von seinem Stuhl vor dem Kaminfeuer zu Spandrel auf. Dann erst bemerkte er, dass sein Gefährte nicht allein in die Schankstube getreten war. »Wer ist diese Bohnenstange?«
»Ich bin Nicodemus Jupe, Sir.«
»Ein Sir bin ich? Was Sie sagen, gefällt mir besser als Ihr Aussehen, Jupe, das steht schon mal fest. Mir war schon klar, dass wir irgendwann über Ihren Frack stolpern würden, ich hatte nur nicht erwartet, dass Sie uns Ihre Referenz erweisen würden. Was wollen Sie?«
»Er glaubt, wir sollten...«
»Lassen Sie ihn für sich selbst sprechen!«, fuhr McIlwraith Spandrel über den Mund. »Also?«
»Könnten wir nicht einen abgeschiedeneren Raum aufsuchen?« Jupe sah sich um. »Sie wollen doch sicher nicht, dass unsere Angelegenheiten hinausgetragen werden, Sir.«
»Unsere Angelegenheiten?«, knurrte McIlwraith. »Auf der anderen Seite des Flurs ist ein Lesezimmer oder so etwas Ähnliches. Nachdem dort kein Feuer brennt, dürften wir es wohl für uns haben. Die Kälte sollte Sie wach halten, Spandrel, selbst wenn Jupes Konversation Sie nicht fesselt. Gehen Sie voran.«
Kurze Zeit später standen sie im Leseraum und schlössen die Tür hinter sich. Vor seinen mit Holz getäfelten Wänden waren mehrere Schreibtische und Stühle aufgestellt. Ein großes Regal enthielt eine Reihe von Atlanten, Almanachs und Bibeln. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers lag eine Ausgabe der Berner Zeitung. Darüber hing ein Leuchter an der Decke, von dessen Kerzen allenfalls die Hälfte angezündet war. Wie McIlwraith prophezeit hatte, war es so kalt, dass ihr Atem kleine Wölkchen bildete.
»Dann sagen Sie Ihr Stück auf«, brummte der Schotte und beugte sich über den Tisch. »Sie können damit anfangen, wie Sie herausgefunden haben, dass wir hier sind.«
»Offenbar empfehlen die Torwächter immer diesen Gasthof, Sir. Zweifellos sorgt der Wirt dafür, dass es sich für sie lohnt.«
»Sind Sie auch hier abgestiegen?«
»Nein, Sir.«
»Dann haben Sie uns also gesucht?«
»Ich wusste, dass den beiden noch jemand folgen würde. Das war ja unvermeidlich. Ich habe... die Augen offen gehalten.«
»Aber Sie logieren woanders. Warum?«
»Das erkläre ich Ihnen gleich, Sir.«
»Nennen Sie mich nicht dauernd Sir! Sie gehören doch nicht meinem Trupp an. Gott sei Dank.«
»Von mir aus... Captain.«
»Wie viel hat Spandrel Ihnen verraten?«
»Nur dass Sie ein Agent des Brodrick-Ausschusses sind. Ich hatte schon befürchtet, Sie würden die Regierung vertreten.«
»Was liegt Ihnen schon daran, wen ich vertrete?«
»Mir liegt sehr viel daran,
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