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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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Decke zu kalten Krallen gekrümmt, Klauen, die sie nicht mehr öffnen konnte, selbst wenn sie wollte, sie musste die Decke festhalten, die sie barg, ihren Körper vor ihm verbarg; das leichte Brennen der Schamlippen war nicht schlimm, in seinem Ehebett lag sie, das er sich für die Ehe mit einer Jungfrau gekauft hatte, in dem er einer Jungfrau die Liebe beibringen wollte. Was hatte er gedacht, wer sie war? Welches Missverständnis hatte sie miteinander in dieses Bett gebracht?
    Wilhelm stand auf. Er nahm seine Decke, legte sie sich um die Schulter und verließ das Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich; sie sollte bleiben, zurück. Helene suchte nach sinnvollen Gedanken. Die kamen ihr nicht gerade leicht. Frau Alice Sehmisch, sagte sie in die Dunkelheit und zu sich selbst. Ihre Füße waren so kalt wie ihre Krallen, Klauen und Krallen, kalt im Mai.
    Als alles still war, schlich sich Helene in die Küche, sie wusch ihre Hände, setzte Wasser auf und mischte in der Emailleschüssel das heiße mit dem kalten, ein Schuss Essig, sie hockte sich über die Schüssel und wusch sich. Ein wenig Seife sollte nicht schaden, vielleicht etwas Jod? Mit der hohlen Hand schöpfte sie das Wasser und tastete nach ihren Lippen, ihrer Öffnung, den zarten und glatten Falten, spülte sich aus, spülte seins aus sich heraus. Weiches Wasser, hartes Wasser. Sie wusch sich lange, bis das Wasser kalt war, dann wusch sie am Ausguss ihre Hände.
    Zurück im Bett blieben die Füße kalt. Sie konnte ohnehin nicht schlafen, sie stand gerne auf und bereitete das Frühstück vor. Sie hatte Eier gekauft, Wilhelm mochte Eier, sie durften nur nicht zu weich sein. Ob er mit ihr sprechen würde? Was würde er sagen?
    Die erste halbe Stunde, in der Wilhelm aufgestanden war, sich gewaschen, rasiert und gekämmt hatte, sah es aus, als würde er nicht mehr mit ihr sprechen, vielleicht nie mehr. Helene überlegte, welche Zettel sie ihm in Zukunft schreiben würde und er ihr. Sie konnten die Gebärdensprache üben. Er würde ihr Zettel schreiben, auf denen stand, was sie für ihn erledigen sollte und welches Abendessen er sich wünschte. Sie würde ihm schreiben, warum sie keinen Aal bekommen hatte und dass die Fischfrau ihre Schollen heute im Angebot hatte. Helene konnte gut schweigen, er würde schon sehen.
    Wilhelm hatte sich an den Tisch gesetzt und einen Schluck Kaffee probiert. Ist das Bohnenkaffee? Das sagte er plötzlich und sie nickte. Sie wusste, dass er kaum etwas so sehr wie Bohnenkaffee schätzte. Bohnenkaffee kam unmittelbar nach den Automobilen, gewiss noch vor den Funkmasten der Schiffe, nur mit dem Rang der Ruderer und Skispringer war sie sich etwas unsicher.
    Zur Feier des Tages, dachte ich. Der erste Morgen in der Ehe.
    Guter Gedanke, sagte er, nickte mit gespielter Anerkennung und musste lächeln. Er lächelte für sich, er hob den Blick nicht zu ihr.
    Riecht es nach geröstetem Brot, oder täusche ich mich?
    Du täuschst dich nicht, sagte Helene, setzte einen Schritt zur Seite, öffnete die Klappe des Rösters und reichte ihm das schwarzbraune Brot.
    Vielleicht setzt du dich?
    Helene gehorchte, sie zog ihren Stuhl zurück und setzte sich ihm gegenüber.
    Da hab ich mir was eingefangen, stellte Wilhelm fest. Die Katze im Sack. Er schüttelte den Kopf. Keinen Begriff von Ehre. Und dafür habe ich mir die Hände schmutzig gemacht, Papiere gefälscht, dir eine verfluchte Identität besorgt. Wilhelm schüttelte den Kopf und biss in das geröstete Brot.
    Helene ahnte jetzt, welche Schmach er empfinden musste.
    Wir versuchen es trotzdem. Helene sagte den Satz, in der Hoffnung, dass ihm das Jungfräuliche bald lächerlich erschien.
    Wilhelm nickte. Hörner aufsetzen lasse ich mir nicht, damit das klar ist. Er hielt ihr die Tasse entgegen, damit sie ihm Milch eingoss.
    Wilhelm hatte ihr die Papiere besorgt, er hatte sich strafbar gemacht, sie konnten jetzt einander fürchten, jeder konnte den anderen auffliegen lassen. Zum ersten Mal begriff Helene, was sie beide grundsätzlich unterschied. Er gehörte zur Gesellschaft, er war wer, er hatte sich etwas aufgebaut. Wilhelm hatte etwas zu verlieren, sein Ansehen, seine Ehre, zu der gewiss die Ehrbarkeit seiner Frau zählte, seinen Glauben, seine Vereinbarungen mit einem Volk, einer deutschen Nation, zu der sein Blut gehörte und der er mit seinem Blut dienen wollte.
    Wir könnten heute hinausfahren nach Swinemünde, Helene begann den Satz aus lauter Schreck, weil sie fürchtete, dass Wilhelm sonst

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