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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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zur Tür hereinkam, waren seine Knie beide aufgeschürft, am Ellenbogen hatte er Schorf, der aufgesprungen war. Seine Hände waren schwarz, auf der Nase hatte er einen Strich aus Kohle. Seine Augen glitzerten, offenbar hatte er Spaß gehabt.
    Du gehst dir jetzt bitte die Hände waschen, sagte Helene. Peter fiel es kaum ein, sich seiner Mutter zu widersetzen. Er wusch sich die Hände, schrubbte seine Fingernägel mit der Bürste und setzte sich an den Tisch.
    Die Kohle im Gesicht, sagte Helene, wäschst du die bitte auch ab?
    Schwarzer Peter, sagte Peter und lachte. Er liebte das Spielen, wenn sich die anderen über ihn lustig machten, lachte er mit ihnen.
    Vorhin habe ich dich einen Spottreim rufen hören. Helene legte Peter die obere Hälfte der Makrele auf den Teller und schnitt den Kanten Brot entzwei.
    Mich?
    Weißt du eigentlich, was Juden sind?
    Peter zuckte unsicher die Achseln. Er wollte seine Mutter nicht verärgern, nichts lag ihm ferner. Menschen?
    Na also, warum machst du dann einen Spottreim auf sie?
    Peter zuckte wieder mit den Schultern.
    Ich möchte das nicht, Helene sagte es streng und nüchtern, ich möchte das nie wieder hören. Ist das klar?
    Peter sah unter seinem Pony hervor, er musste lächeln, verschmitzt sah er aus, wenn er so lächelte, er mochte nicht glauben, dass seine Mutter wegen eines Spottreims so aufgebracht war.
    Was sind Juden für Menschen? Peter lächelte noch immer. Er wollte es wirklich wissen, er fragte und würde sich damit abfinden müssen, dass Helene ihm nicht antwortete. Helene empfand ein Ungenügen, ein peinigendes Ungenügen. War sie feige? Wie sollte sie ihrem Sohn erklären, was die Juden für Menschen waren, wer sie war, warum sie nicht sprechen konnte? Niemand wusste, wohin so ein Kind sein Wissen trug, am nächsten Tag konnte es in der Schule mit dem Lehrer oder den anderen Kindern darüber sprechen. Das wollte Helene nicht. Sie wollte ihn in keiner Gefahr wissen. Er verstand schon, da war sich Helene sicher, Peter war ein kluges Kind. Menschen, das reichte doch als Erklärung, nicht wahr? Helene erwiderte sein Lächeln nicht, sie aßen schweigend den Fisch.
    Mutter, sagte er, nachdem er den Teller abgeleckt hatte, danke für die Makrele, das war eine fabelhafte Makrele. Peter konnte die meisten Fische unterscheiden, er liebte die Unterschiede, ihre unterschiedlichen Namen und Geschmäcker. Helene mochte das Wort fabelhaft nicht. Alle benutzten es, dabei war es unklar, das Wort, vollkommen irreführend. Wenn sie ihm im November das Klappmesser schenken würde, würde es zum Angeln in Stadtnähe schon zu spät sein, die meisten Ufer waren dann gefroren, die Fische schwammen zu tief, er würde wohl kaum einen essbaren Fisch fangen können. Helene deutete ein Lächeln an. Woher nahm er nur die ausgesprochene Höflichkeit? Hatte sie ihm jemals gesagt, er müsse sich bedanken? Die Gräten würde die Katze unten im Hof bekommen. Niemand wusste, wem die Katze gehörte, es war eine schöne Katze, die aussah wie eine Siamkatze, weiß mit braunen Pfoten und strahlend hellen Augen. Peter sollte das Geschirr spülen, Helene dankte ihm dafür im Voraus. Das machte er gern, er half seiner Mutter, wo er konnte. Er konnte allein ins Bett gehen, Helene nahm ihren gebügelten Kittel und verabschiedete sich, sie hatte Nachtdienst.
    Der Nebel lag schwer über dem Haff, die Schiffe tuteten, ihre Hörner fielen einander in den Nacken. Oben in der Stadt schien golden die Sonne und warf lange Schatten, der Tag brach erst an.
    Wir gehen in die Pilze, erklärte Helene an diesem freien Sonntag, den man ihr nach wiederholtem Bitten aus Rücksicht auf das Kind zugestanden hatte, und packte ihren Korb. Es gab keine besseren Bedingungen, noch gestern hatte es geregnet, in der vergangenen Nacht war Vollmond gewesen. Die halbe Stadt konnte sonntags in den Wäldern sein, aber Helene kannte sich aus, sie würde sie finden, die einsamen Lichtungen. Ein Handtuch, zwei Messer, eine Zeitung, denn die Pilze sollten sich nicht stoßen und aneinander reiben, wenn sie übereinander lagen.
    Sie fuhren mit der Bahn nach Messenthin, die strohgedeckten Fachwerkhäuschen hatten sie schnell hinter sich gelassen, Helene kannte ihren Weg in den Wald. Die Fichten standen dicht, dann drängten sich Buchen und Eichen vor. Die Luft war kühl. Es duftete nach frühem Herbst, nach Pilzen und Erde. Buchenblätter, glatt und manche schon bronzefarben, die trockenen kleinen Eichen. Helene ging voran, sie ging schnellen

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