Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
seiner Hose hing Heu und Stroh.
Wart nur, hörte er den Onkel zum Hund sagen, dem werd ich Beine machen. Peter musste mal, aber er wollte seinen Platz nicht verlassen, er wollte sie sehen, wie sie unter dem Dach erscheinen und nach ihm Ausschau halten würde.
Wo ist Peter? Hörte Peter den Onkel fragen. Fass, Hasso, fass. Der Onkel schlug sich ungeduldig auf den Oberschenkel. Gewiss hatte die Tante drinnen schon die Kartoffeln aufgesetzt. Die Mutter sollte zum Mittag bleiben. Die Tante wollte Kohlrouladen machen. Peter hatte vorgeschlagen, sie solle Saure Heringe machen. Er dachte sich, seine Mutter habe die genauso gern gemocht wie er. Rollmöpse und Saure Heringe. Aber die Tante mochte keinen Fisch. Sie wohnten acht Kilometer von der Küste entfernt und die Tante hatte ihr Lebtag keinen Fisch gegessen. Also gab es nie einen. Peter musste daran denken, wie seine Mutter ihm früher öfter einen Fisch zubereitet hatte. Wacholder, das Wort kam ihm in den Sinn. Was für ein schönes Wort. Er sprach es laut: Wacholder. Das waren so kleine schwarze Beeren, mit denen seine Mutter den Fisch gegart hatte. Peter hatte gerne an ihren Händen gerochen; selbst, wenn sie den Fisch ausgenommen und gegart hatte, dufteten ihre Hände wunderbar. Vielleicht konnte er ihn eines Tages vergessen, den Geruch seiner Mutter. Erst gegen vier Uhr sollte ihr Zug von Gelbensande über Rostock zurück nach Berlin gehen. Hasso wedelte mit dem Schwanz. Offensichtlich nahm er den Suchbefehl des Onkels nicht ernst.
Peter holte sein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte seine Hände ab. Er musste sich häufig die Hände abwischen, mehrmals am Tag. Die anderen Jungen in der Schule erzählten, man werde unfruchtbar davon. Das war gut. Peter konnte sich nicht vorstellen, selbst einmal Kinder zu zeugen. Jetzt erschien seine Mutter unter dem Vordach. Sie trug das Kopftuch nicht mehr, und auch den Mantel hatte sie drinnen wohl abgelegt. Ihr Haar war hochgesteckt. Sie musste frieren. Peter sah, wie sie ihre Arme verschränkte und unschlüssig auf der kleinen Treppe unter dem Vordach stehen blieb. Vor ihrem Gesicht stand weiß ihr Atem. Ein schönes Gesicht hatte sie. Ebenmäßig und groß. Ihre gewölbte, hohe Stirn, die schmalen Augen, von denen Peter noch genau wusste, wie hell sie leuchteten, so hell wie die Ostsee im Sommer. Der Onkel war in den Hof getreten und forderte Hasso auf, nach Peter zu suchen. Such, Hasso, such. Peter sah, wie der Onkel auf den Stall zuging, schließlich hatte man Peter heute Morgen ja gesagt, er solle auf die Ferkel aufpassen. Der Onkel verschwand aus dem Blickfeld und Peter hörte die Tür unter sich. Vorsichtig und leise zwängte er sich zwischen die Strohballen. Er hörte, wie der Onkel seinen Namen rief, und dann hörte er ein Klappern, ein Rumsen, als stampfe der Onkel mit dem Fuß und stoße einen Eimer um, das Quietschen der Ferkel, als trete er sie.
Die Schritte des Onkels führten unten durch den Stall, vielleicht vermutete er Peter hinten bei den Kühen. Noch einmal drang sein Name zu ihm herauf, dumpf durch das Stroh. Hasso bellte, diesmal nur kurz und weit weg.
Nachdem die hintere Stalltür zugefallen war und die Luft sauber schien, kroch Peter aus seinem Versteck. Die Ritze gab den Blick auf das Vordach frei, auf Hasso und den Onkel. Die Mutter war bestimmt wieder hineingegangen, in die Wärme. Ob sie etwas fragte, sich nach ihm erkundigte? Vielleicht war sie stolz, dass er auf die Oberschule ging. Onkel und Tante sprachen ungern darüber, sie hatten sich aber nicht getraut, dem Lehrer und seiner Empfehlung zu widersprechen. Na meinetwegen, hatte der Onkel nach dem Gespräch in der Schule gesagt. Solange Peter auf dem Hof half, sollte er noch zur Schule gehen. Peter wusste schon, wohin er später wollte. In Potsdam bei Berlin war vor wenigen Wochen eine Filmhochschule eröffnet worden, er hatte in der Zeitung darüber gelesen. Im Radio war eines Sonntags ein langer Bericht gekommen, dass man junge, talentierte Menschen ausbilden wolle. Wer weiß, vielleicht war er so einer. Sie würden sich noch alle umschauen, der Onkel und die Tante, der Vater und die Mutter.
Unten im Stall ging ein Schnattern und Flattern durch die Gänse. Jemand musste sie aufgescheucht haben, Gänse schnatterten nicht einfach so drauflos. Nur wenn sie Hunger hatten oder jemand sie ängstigte. Peter wäre gerne hinuntergestiegen und hätte nachgesehen, aber es war zu gefährlich. Drüben aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Es war
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