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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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lassen.

Epilog
    Peter hörte, was ihm sein Onkel sagte. Jetzt kommt die, was sich deine Mutter nennt. Der Onkel schnaubte in sein kariertes Taschentuch und spuckte verächtlich in Richtung Misthaufen. Na, jetzt aber schnell, sagte er mit einem Blick gen Himmel zu den Kranichen. Die anderen waren schon vor Wochen nach Süden gezogen. Peter sollte dem Onkel helfen, den Stall auszumisten. Er sollte ja nicht glauben, er sei zum Faulenzen da. Nur weil er in der Schule so schlau tue, solle er sich nicht zu fein sein. Peter war sich nicht zu fein. Er half im Stall, er half beim Melken, er bekam seine Milch, und er hatte seinen eigenen Schlafplatz auf der Küchenbank. Er wurde gelitten.
    All die Jahre meldet die sich nicht, schimpfte der Onkel. Hat sich einfach verdrückt. So was soll eine Mutter sein. Verächtlich schüttelte der Onkel den Kopf und spuckte wieder aus. Mit der Mistgabel stocherte der Onkel in dem großen Haufen. Sieh zu, dass der hier unten nicht in die Breite geht, Peter, immer schön oben drauf.
    Peter nickte, er lief vor, zur Stalltür, die schon geschlossen gehalten wurde, weil es ein ungewöhnlich kalter Herbst war. Er öffnete die Tür. Den warmen Atem der Tiere mochte er, ihr Grunzen und Muhen, das Malmen und Schmatzen. Sie hatte sich für seinen Geburtstag angemeldet, für seinen siebzehnten. Peter wusste, dass der Onkel sich über seine Mutter ärgerte. Seine Frau und er hatten keine eigenen Kinder, offenbar wollten sie auch nie welche haben. Peter war zu einer guten Hilfe auf dem Hof herangewachsen, aber die ersten Jahre waren schwer, man glaubte, man müsse sich aneinander gewöhnen, und wusste nicht, ob es für einige Wochen oder einige Monate sein würde. Inzwischen war allen klar, dass es ein Bleiben für immer war, bis Peter alt genug sein würde. Niemand hatte sich an den anderen gewöhnt, sie ertrugen einander. Bei jeder Ausgabe für ein Kleidungsstück hatten Onkel und Tante geächzt. Das Fahrrad, mit dem Peter in die Schule erst nach Graal-Müritz und später zum Bahnhof und nach Rostock fuhr, hatte er sich aus tauglichen Einzelteilen zusammenbauen und die tauglichen Einzelteile selbst finden und im Notfall verdienen sollen. Er hatte verdient, indem er den ersten Feriensommer von früh bis spät Heu gewendet hatte. Danach konnte er es, er hatte Onkel und Tante bewiesen, dass er sich nützlich machen konnte. Das war gut so. Auch sollte er nicht viel essen, aß er einmal zuviel, wurde gesagt: Der frisst uns noch alle Haare vom Kopf. Immer wieder hatten Onkel und Tante die Hoffnung geäußert, dass jemand kommen und Peter holen werde, die Mutter, vor allem die Mutter sollte kommen, hatte die doch damals ihre Adresse angegeben. Onkel Sehmisch, Gelbensande. Einfach so, ohne zu fragen. Aber sie blieb lange verschollen. Auch der Bruder hätte sich mal blicken lassen können, der Bruder, der inzwischen mit seiner neuen Lebensgefährtin am Markt in Braunfels bei Wetzlar residierte, vornehm im Westen. Da war man wer und hatte keine Zeit für so ein Balg. Noch einer zum Füttern, so hatte man Peter in den ersten Jahren auf dem Hof genannt.
    Woher kommt sie, kommt sie aus dem Westen? Peter wusste, dass seine Frage den Onkel nur zu neuem Ärger reizen würde, aber er wollte es wissen, er wollte wissen, woher sie kam.
    Papperlapapp, Westen. Lebt in der Nähe von Berlin. Will dich mal sehen, pff. Der Onkel rümpfte die Nase und blickte Peter nicht an. Die Tante hat gleich geschrieben, ob sie dich zurückhaben will. Haben wir sie gefragt. Von wegen. Zurückhaben. So wären ihre Verhältnisse nicht, pff, lebt ganz bescheiden mit ihrer Schwester in einer Einzimmerwohnung, arbeitet viel. Pff. Der Onkel bückte sich. Und arbeiten wir nicht alle viel? Hier, Peter, pack mal an. Peter hob den Trog an, der Onkel hob ihn am anderen Ende in die Höhe, gemeinsam trugen sie den Trog in den hintersten Stall, wo in diesen Tagen die stallälteste Sau werfen sollte.
    Peter wusste jetzt, dass sie aus der Nähe von Berlin kam. Sie hatte keinen Mann, sie wollte ihn trotzdem nicht zurück. Nur sehen wollte sie ihn mal. Peter spürte, wie er die Lippen aufeinanderpresste, mit den Zähnen die spröde Haut löste, weichte, knabberte und abzog. Was fiel ihr nur ein? Nach all den Jahren. Er ließ sich nicht nur mal sehen, in gar keinem Fall. Sollte sie ruhig kommen.
    Der Onkel holte die Mutter am Morgen vom Bahnhof Gelbensande ab, sie sollte mit dem Zug über Rostock eintreffen. Der Onkel fragte, ob Peter ihn zum Bahnhof

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