Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
Vom Netzwerk:
klopfte Grumbach erneut an die Tür seines Freundes. Das Mariechen öffnete. Über den Lausitzer Bergen hatte es die ganze Nacht geschneit und beim Öffnen der Tür musste das Mariechen blinzeln, so blendete das Licht von der Straße her. Die Schneeflocken schmückten das Haar des Gastes. Er trug offenbar seinen besten Anzug. In der Hand hielt er zusammen mit dem Stock einen kleinen Korb voller Walnüsse, und auch die Nüsse trugen Schneehäubchen.
    Ach, wann immer ich komme, duftet es herrlich in diesem Haus, sagte der ungeladene Gast. Er stampfte mit den Füßen, damit der Schnee von seinen Schuhen fiel. Das Mariechen blieb in der Tür stehen, als sei es unentschlossen, wie weit es den Gast eintreten lassen könne. Grumbachs Blick fiel durch die offene Tür in die Stube zum Esstisch, auf dem drei gefüllte Teller standen. Der Gast drängte sich am Mariechen vorbei ins Haus hinein. Es roch nach Roten Beeten. Aus den Tellern dampfte es und die Suppenlöffel lagen in den Tellern, als habe man eilig aufspringen und den Tisch verlassen müssen. Die leeren Stühle standen etwas abseits. Während sich der Gast umständlich seiner Stiefel entledigte, wagte er einen zweiten neugierigen Blick ins Esszimmer. Das Mariechen schlug die Augen nieder, denn aus dem oberen Stockwerk drang ein Rumpeln und Scheppern. Plötzlich war laut und deutlich die Stimme von Selma Würsich zu hören.
    Dein Vater braucht Pflege? Ein hämisch keckerndes Lachen folgte. Weißt du überhaupt, was das ist, Pflege? Spielst hier die Gute und hast nicht mal ein Glas Wasser für deine Mutter. Etwas polterte. Deine Mutter! Hörst du? Wart nur, eines Tages wirst du mich pflegen müssen. Ha. Mich, hörst du? Bis zum Tode. Meine Exkremente mit den Händen halten.
    Das keckernde Lachen verebbte, es wandelte sich und wurde zum Schluchzen.
    Sehen wir nach dem Rechten, sagte der Gast und stieg entschlossen dem Mariechen voran die Treppe hinauf.
    Gerade als der Gast die letzte Stufe erreichte, flog nahe vor seinem Gesicht ein Stiefel an die Wand. Helene hatte sich geduckt, da packte die Mutter schon den zweiten Stiefel und warf auch den mit aller Kraft in Helenes Richtung.
    Verfluchtes Balg, du kleine Zecke, du bringst mich noch um!
    Helene hielt sich schützend die Arme über den Kopf.
    Nein, diesen Gefallen werde ich dir nicht tun. Helenes Antwort kam leise und klar.
    Niemand wollte das Erscheinen des Gastes bemerken. Er traute seinen Augen nicht. Wäre ihm das Mariechen nicht auf dichtem Fuß die Treppe hinauf gefolgt und stünde jetzt hinter ihm, versperrte ihm den Weg hinaus, er hätte sich umgedreht und gemacht, dass er unentdeckt wieder davonkäme. Frau Selma Würsich stand dort im Nachthemd, dessen Ausschnitt mehr von ihren Brüsten sehen ließ, als ihr recht sein konnte. Gestickte Margeriten rankten sich entlang der Spitze. Das offene Haar aber wirbelte durch die Luft und ringelte sich auf ihren nackten Schultern, als lebe es. Die silbernen Fäden glänzten. Blindschleichen wanden sich auf ihren Brüsten. Offenbar hatte sie mit keinem Besuch gerechnet und sah ihn auch jetzt nicht, wo er unschlüssig auf der vorletzten Treppenstufe stand und nach einem Ausweg für sich suchte.
    Frech bist du, verdorben!
    Wer hat mich denn erzogen, Mutter?
    Und so etwas ernähre ich in meinem Haus. Die Mutter schnaubte. Schämst du dich nicht?
    Martha ernährt uns, Mutter, ist dir das nicht aufgefallen? Helenes Stimme war von herausfordernder Gelassenheit. Ich schreibe dir vielleicht rote und schwarze Zahlen in die Bücher der Druckerei, aber Martha ernährt uns. Was glaubst du, von welchem Geld wir am Sonnabend auf dem Markt bezahlen? Von deinem? Gibt es das, dein Geld?
    Aah, du kleiner Teufel, scher dich davon, mach, dass du wegkommst! Die Mutter riss ein Buch aus dem Regal und warf es in Helenes Richtung.
    Die gute Reue. Helenes Stimme war leise. Warum hast du mich geboren, Mutter? Warum. Warum nicht zu den Engeln geschickt?
    Ehe der Gast ausweichen konnte, prallte ein Buch von seiner Schulter ab.
    Sag bloß, du hast nicht gewusst wie?
    Erst jetzt bemerkte Selma Würsich den Gast. Tränen schossen aus ihren Augen, sie sank auf die Knie und flehte den Gast an: Haben Sie das gehört, mein Herr? Helfen Sie mir! Das will meine Tochter sein. Sie schluchzte haltlos.
    Verzeihen Sie. Der Gast stammelte. Unschlüssig stand er an der Treppe, mit einer Hand stützte er sich auf seinen Stock, Weimar, Cassel, Bad Wildungen, wo wart ihr? Er lehnte sich an das Geländer, er

Weitere Kostenlose Bücher