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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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Verleger seiner ersten Gedichte, wieder daheim wäre. Ein Räuspern. Sechs Jahre habe man sich nicht gesehen, da wolle er es sich nicht nehmen lassen, ihm einen kurzen Besuch abzustatten. Das feuchte Räuspern war offenbar weniger Verlegenheit als ständige Notwendigkeit. Grumbach wollte sich nicht setzen.
    Wir haben uns lang nicht gesehen, hörte Helene ihn zum Vater sagen. Sie konnte Herrn Grumbach nicht aus dem Auge lassen, sie fürchtete, dass er mit seinem Räuspern dem Vater zu nahe käme. Der Vater schaute ihn an, er bewegte die Lippen.
    Vielleicht geht es ihm morgen besser? Der Gast schien diese Frage nur für sich zu stellen, er sah weder Helene noch das Hausmädchen an. Räuspernd trat er den Rückweg an.
    Wider Erwarten läutete der Gast am folgenden Tag erneut.
    Seine Augen leuchteten, als er Martha entdeckte. Sie war an diesem Tag nicht ins Krankenhaus gegangen. Schon an der Tür ließ er sich den Schirm abnehmen, lehnte aber noch höflich die Tasse Tee ab, die ihm Helene anbot.
    Am folgenden Tag nahm er sie; und von jetzt an kam er täglich zu Besuch. Man hatte ihn nicht einladen müssen. Er trank den Tee in großen Zügen, leerte eine Tasse nach der anderen und kaute geräuschvoll auf dem Brocken Kandiszucker. Schon im Laufe eines Besuches musste die Schale aufgefüllt werden. Der Gast war einarmig. Mit dem vorhandenen Daumen wies er auf seinen Rücken, er sei mit einem Splitter aus dem Krieg heimgekehrt, der ihn tief vornübergeneigt nicht ohne Stock gehen lasse, er mied das Wort Buckel, doch er freue sich bester Laune. Er räusperte sich. Helene musste sich fragen, ob der Splitter im Rücken die Lungen verletzt haben könnte und er sich deshalb in einem fort räusperte. Über die vergangenen Monate habe er so viele Gedichte geschrieben, dass sie nun gemeinsam eine siebenbändige Werkausgabe vorbereiten könnten, das sagte der Gast vergnügt. Er wollte nicht bemerken, dass ihm sein guter alter Freund nicht antworten konnte – nach der letzten Spritze seiner schönen und großen Tochter schien dem Kranken der nötige Speichel für jegliche Worte zu fehlen.
    Obwohl Martha Helene hinunterschickte, wo sie dem Mariechen beim Entkernen, Erhitzen und Einwecken der Pflaumen helfen sollte, blieb Helene sitzen. Der süffige Pflaumengeruch stieg bis unters Dach, er drang in jede Ritze und nistete sich in Helenes Haar. Sie lehnte sich zurück. Niemals wollte sie diesen Gast mit ihrem Vater und ihrer Martha allein lassen.
    Wie schön, dass wir nun endlich wieder Zeit zum Plaudern haben, sagte Grumbach, er schätzte wohl das gewohnte Schweigen seines Freundes.
    Helene betrachtete den Spazierstock, dessen feingeschnitzter Griff aus Elfenbein in einem sonderbaren Kontrast zu den drei Plaketten stand, die er an den Stock geschraubt hatte. Es waren dies eine farbige, eine goldene und eine silberne Plakette, deren Prägung Helene auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Am unteren Ende des Stockes war an der nachträglichen Schnitzung deutlich erkennbar, dass er über der Metallspitze einmal gekürzt worden sein musste. Vermutlich besaß Grumbach diesen Stock schon unzählige Jahre und konnte ihn nach dem Krieg nicht mehr in seiner ursprünglichen Länge verwenden.
    Der Gast ließ Martha nicht aus den Augen. Martha streckte sich jetzt, um das Oberfenster zu öffnen.
    Du erinnerst dich doch an mich, den alten Onkel Gustav? Gusti? Fragte der Gast in Marthas Richtung und freute sich gewiss über ihr großzügiges Lächeln, in dem alles liegen mochte, das Erkennen wie eine Freude des Wiedersehens.
    Grumbach hatte in dem Ohrensessel neben dem Bett seines Freundes Platz genommen, konnte aber nur vornübergebeugt darin sitzen. Begleitet vom bekannten Räuspern und einem leisen Schmatzen lutschte er den Brocken Kandis. So ein Brocken verlangte mutige Zähne, aber seit dem Mann erst kürzlich der dritte Backenzahn rausgebrochen war, zog er das Lutschen vor.
    Onkel Gustav, flüsterte Helene bei nächster Gelegenheit Martha zu, sie musste kichern. Helene erschien der Versuch einer Vertrautheit und die dafür entdeckte Bezeichnung des Wortes Onkel so plump und abwegig, dass ihr trotz der offenbaren Gebrechlichkeit von Onkel Gustav nach Lachen war. Sein Schlürfen bei halbgeöffnetem Mund setzte kleine Akzente in der Stille. Helene durfte ihn nicht aus den Augen lassen. Sie beobachtete, wie sein Blick über Marthas Gestalt wanderte, so, als stünde ihm mit dem Gastrecht nun auch ein gewisses Recht der ungezügelten Betrachtung zu.

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