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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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heraus: Ja, natürlich.
    Das war wohl mehr eine Behauptung, so zumindest deutete Helene den Druck hinter seinen Lauten und den rastlosen Blick.
    Willst du dein Herz mir schenken, so fang es ... begann die Mutter mit bedeutungsvoller Stimme.
    ... heimlich an. Dass unser beider Denken niemand erraten kann. Natürlich, auch das, ja, beeilte sich der Gast zu sagen – aber er schien für die Gemeinsamkeit keine rechte Freude aufbringen zu können.
    Nur haben Sie je darüber nachgedacht, welche Hinterlist in diesem Liebesschwur liegt? Nein? Ja? Welche Polemik. Ich verrate es Ihnen: Er fordert sie zum Schweigen auf, damit ihm selbst die Stimme über das Gemeinsame gehört. Und die ist nicht glücklich. Haben Sie verstanden? Ungeheuer, sowas. Für diese offenkundige Schmäh ihrer Worte und die im Unglück liegende Abkehr von sich selbst muss der Leser weinen. Wenigstens die Leserin, flüsterte sie fast nicht mehr hörbar, dann sagte sie laut zu ihm: Sie aber weinen nicht. Sie wollen triumphieren. An die Holde!
    Wieder hörte Helene das böse Lachen ihrer Mutter, dessen Abgrund einem Gast wie diesem nur schwer einsichtig sein konnte. Dieser Heine gehört von Ihnen nicht gelesen. Haben Sie gehört? Sie verraten ihn, noch ehe Sie ihm nahegekommen sind. Was, und Sie lesen ihn aber, ja? Sind Sie noch bei Verstand?
    Nicht gelesen?
    Nicht von Ihnen. Sie machen aus Ihrem Missverstehen gleich einen ganzen Band. An die Holde. Hören Sie, das geht nicht. Das ist nicht einfach schlecht, schlimm ist das, schlimm.
    Verzeihen Sie, gnädige Dame. Der Gast stotterte.
    Doch mit dem Verzeihen schien Helenes Mutter so ihre Schwierigkeiten zu haben.
    Gnade, die gibt es nicht unter Menschen. Wir sind dafür nicht zuständig.
    Verzeihen Sie, Werte. Vielleicht haben Sie recht und ich habe nichts als leeres Stroh gedroschen. Schwamm drüber, verehrte Frau Würsich. Es ist nicht mehr der Rede wert.
    Leeres Stroh gedroschen? Hören Sie, Grumbach, dreschen Sie Stroh, soviel Sie wollen. Nur verschonen Sie Ihre Mitmenschen mit sich und Ihren Schwämmen. Die wahre Gnade, die suchen Sie nur bei Ihrem Gott, mein Herr. Helenes Mutter konnte sich über die letzten Worte fassen, sie sprach klar und streng.
    Wenn er klug war, dachte Helene, sollte Grumbach jetzt gehen, am besten wortlos. Aber es gehörte offenbar nicht zu seinen Fähigkeiten, einem anderen das letzte Wort zu lassen.
    Ich möchte Sie wirklich bitten, hob Grumbach an.
    An die Holde! Und wieder hörte Helene das Lachen ihrer Mutter, dessen Abgrund ein Gast wie dieser nicht einmal erahnen und niemals vermessen konnte; was nur gut war.
    Helenes Mutter hielt dem Gast den Rest ihrer Zigarette hin.
    Und jetzt, mein Herr, nehmen Sie das hier mit vor die Tür. Sie wollen mich bitten? Betteln, Hausieren und Musizieren, Sie wissen schon ... Sie entschuldigen mich.
    Von oben aus ihrem sicheren Dunkel sah Helene den Gast nicken. Er nahm die Glut der Zigarette, die an seinen Fingern brennen musste. Noch als die Mutter hustend in ihrem Schlafgemach verschwunden war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, nickte der Gast. Er stieg vorsichtig, Stock und verglühende Zigarette in einer Hand, die steile Treppe abwärts. Er nickte noch immer, als er unten an der Eingangstür anlangte und auf die Tuchmacherstraße trat. Die Tür fiel ins Schloss.
    Helene stand auf und wollte die Tür zu ihrem Vater öffnen. Sie rüttelte an der Tür.
    Lass mich rein, ich bins.
    Zuerst blieb es still hinter der Tür, dann aber hörte Helene Marthas leichte Schritte.
    Warum hast du nicht geöffnet?
    Ich wollte nicht, dass er sie hört.
    Warum nicht?
    Er hat sie vergessen. Ist dir aufgefallen, dass er in den letzten Wochen nicht mehr nach ihr fragt? Ich könnte ihm nicht sagen, dass sie einen Stock tiefer lebt und ihn einfach nicht sehen möchte.
    Martha nahm Helene bei der Hand und zog sie mit sich an das Bett des Vaters.
    Wie befreit er aussieht, bemerkte Helene.
    Martha blieb stumm.
    Findest du nicht, er sieht befreit aus?
    Martha antwortete nicht und Helene dachte, er musste froh sein, eine Tochter zu haben, die als fürsorgliche Kranken schwester ihm nicht nur täglich den entzündeten Stumpf seines verlorenen Beines versorgte, sondern ihm auch ein Mittel gegen die Schmerzen spritzte und Tag für Tag bemüht war, sich selbst und ihm die Furcht vor einem mitgebrachten Typhus auszureden. Der Vater konnte keine Flüssigkeiten mehr bei sich behalten, aber dafür gab es einige Erklärungen, die Martha eilig heraufbeschwor,

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