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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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voller Vasen und Ästchen, Kästchen und Steine, und unzähliger auf den ersten Blick nicht erkennbarer Gegenstände hinweg, stemmten ihn in die Höhe und ließen ihn schließlich am Fußende auf das Bett der Mutter fallen. Martha öffnete den Koffer.
    Von dem Onkel aus Breslau, dem Hutmacher, sagte sie und hielt zwei große, mit Strass, Steinen und Perlen reichbesetzte Hüte in die Höhe.
    Onkel Herbert, Breslau, bekräftigte Helene.
    Die Mutter nickte so eifrig und schaute gehetzt zur Tür, zum Fenster und zurück zu Helene, dass die Mädchen nicht wussten, ob die Mutter sie verstanden hatte.
    Nicht die Vorhänge öffnen, herrschte die Mutter Helene an. Sie schnaubte verächtlich, als Helene die Menora auf das Fens terbrett neben den kleineren Leuchter der Mutter stellte. Die Menora der Mutter hatte zum letzten Mal am Tag des Todes ihres Mannes gebrannt, die Mutter hatte nur sechs Lichter angezündet und auf Helenes Frage, warum die Mutter ausgerechnet die mittlere Kerze weggelassen hätte, hatte die Mutter tonlos geflüstert, es gebe kein Hier mehr, ob das dem Kind nicht aufgefallen sei. Helene öffnete das Fenster, als sie plötzlich ein Kichern hinter sich hörte. Die Mutter schnappte nach Luft, etwas musste ihr ungemein komisch erscheinen.
    Mutter? Helene versuchte es zuerst mit der Anrede, schließlich gab es Tage, an denen eine Frage völlig umsonst gestellt wurde. Die Mutter kicherte. Mutter?
    Plötzlich verstummte die Mutter. Wer sonst? Fragte sie und das Kichern brach wieder aus.
    Martha, die schon die Treppe hinunterging, rief nach Helene. Doch als Helene an die Tür gelangte, hob die Mutter von neuem an.
    Glaubst du, ich wüsste nicht, warum du das Fenster öffnest? Wann immer du mein Zimmer betrittst, öffnest du es, ungefragt.
    Ich wollte einfach ...
    Du denkst nicht nach, Kind. Du meinst wohl, in meinem Zimmer stinkt es? Ja, ist es das, was du mir zeigen möchtest? Ich stinke? Soll ich dir etwas verraten, Dummerchen? Das Alter kommt, es wird auch über dich kommen, und es macht die Wesen faulen. Ja, schau nur genau hin, so wirst auch du eines Tages faulen. Buhh! Die Mutter sprang in ihrem Bett auf und drohte, auf den Knien schaukelnd, kopfüber vom Bett zu kippen. Dabei lachte sie, das Lachen rollte ihr aus der Kehle, dass es Helene weh tat. Ich verrate dir ein Geheimnis: Wenn du nicht das Zimmer betrittst, dann stinkt es auch nicht. Ganz einfach, ha! Die Mutter lachte nun nicht mehr böse, sondern unbekümmert, erleichtert. Helene blieb unschlüssig stehen. Sie versuchte, über den Sinn der Worte nachzudenken. Was ist? Troll dich, oder möchtest du mich stinken lassen, du Unbarmherzige?
    Helene ging.
    Und schließ die Tür hinter dir! Hörte sie die Mutter in ihrem Rücken rufen.
    Helene schloss die Tür. Sie legte ihre Hand auf das Geländer, als sie die Treppe hinunterging. Wie vertraut ihr das Geländer erschien, fast empfand sie ein Glück, dass dieses Geländer sie so sicher nach unten führte.
    Unten fand Helene Martha im Sessel des Vaters sitzen. Sie half dem Mariechen beim Stopfen der Bettwäsche.
    Für die vermittelnde Tätigkeit dankten Helene und Martha ihrer Tante Fanny in einem langen Brief voll ausführlichster Wetterbeschreibungen und Schilderungen des kleinstädtischen und alltäglichen Lebens. Sie schrieben ihr, dass sie im Garten hinter dem Haus eine zweite Aussaat von Wintersalaten gemacht hätten, erst am folgenden Tage seien die Kohlsorten zum Überwintern an der Reihe. Niemand würde verlangen, dass man sich in Zeiten wie diesen um einen Blumengarten kümmerte, doch ihnen sei es eine wahre Herzensangelegenheit. Wiewohl sich der Wasserzins erschreckend erhöhe, sei es ihnen über den Sommer gelungen, das Beet vor dem Haus nicht verdorren zu lassen. Der Spätsommer erfordere viel Arbeit im Freien. Nun habe Helene schon alle Rosenblätter abgeschnitten und verbrannt. Eine Kupferbrühe sei angerührt, mit der man gegen Rost, und eine Schwefelkalkbrühe, mit der man gegen Mehltau spritzen wolle. Die Astern blühten prächtig. Unsicher sei man nur mit den Blumenzwiebeln. Das Mariechen empfehle, die Zwiebeln von Scilla und Narzissen, von Tulpen und Hyazinthen jetzt zu pflanzen. Aber im vergangenen Jahr seien viele dieser früh gepflanzten Zwiebeln über den Winter erfroren. Rapünzchen und Spinat mochten sie sehr und hätten für den Winter große Mengen gesät, wo es doch nicht absehbar sei, wann sich die allgemeine Lage bessern werde. Schließlich haben sie auf einer kleinen Presse,

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