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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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Ohr. Dein Haar schimmert wie Gold. Wenn wir nichts mehr zu essen haben, schneide ich es dir heimlich nachts ab und gehe es verkaufen.
    Sie mochte es, wenn er wir sagte und sie in seinen Armen lag.

Das Frühjahr kam, die Stürme legten sich und der erste Flug von Ost nach West über den Atlantik gelang. Helene verbrachte seit jenem Wintertag ihre Nächte bei Carl. Nur manchmal ging sie in die Achenbachstraße und war erleichtert, dass es Martha besser ging. Leontine hatte sich mit ihr über Tage eingeschlossen. Martha sollte getobt und gelitten haben, der geschliffene Spiegel mit den Lilien über dem Waschtisch hatte einen Sprung, Bettwäsche war zerrissen und vom Schweiß durchnässt am Morgen und am Abend gewechselt worden, manchmal mitten am Tag; aber dann war sie ruhig, schwach und ruhig. Die Leere blieb, die Fragen, woher und warum und wer. Es war ein Wunder, wie Martha es schaffte, jeden Tag zur Arbeit ins Krankenhaus zu fahren. Leontine sagte, Martha sei zäh. Ihr Körper habe sich an sie gewöhnt. Die beiden Frauen hatten die Betten zusammengeschoben, und nur der Koffer unter dem Bett war noch ein Hinweis auf Helene, auf ihr früheres Leben hier, er barg Helenes Habseligkeiten. Helene kam, öffnete den Koffer und schob die Briefe des Barons beiseite. Sie nahm den aus Horn geschnitzten Fisch und holte die Kette hervor.
    Du kannst sie mitnehmen, sagte Martha. Martha machte sich nichts aus dem Koffer, sie wollte, dass er endlich verschwand. Ihr Hut war von Motten zerfressen, Helene fragte sich, wo ihrer war. Sie musste ihn an jenem Abend vor zwei Jahren in der Garderobe vergessen haben, der Garderobe der Weißen Maus.
    Auf meiner Station wird eine Stelle frei, sagte Martha, du kannst dich bewerben. Helene lehnte ab, sie wollte nicht in den Norden in ein Jüdisches Krankenhaus fahren. Der Apotheker bezahlte sie jetzt besser, und sie musste nicht mehr an ihn denken, wenn sie abends allein in der Apotheke stand und Tinkturen schüttelte. Carl wollte keine Miete von ihr, seine Eltern gaben ihm an jedem Monatsanfang einen Wechsel. Wenn er sie besuchte, nahm er Helene mit auf die Wannseebahn, er setzte Helene in das Gartenlokal am Stölpchensee, bestellte ihr eine Himbeerbrause und holte sie eine Stunde später wieder ab. Manchmal fragte er sie, ob sie ihn nicht begleiten wolle, er wollte sie seinen Eltern vorstellen. Sie scheute sich davor. Vielleicht mögen sie mich nicht, gab Helene zu bedenken und ließ weder Zuspruch noch Einwände gelten. In Wirklichkeit genoss sie die Sonntagnachmittage, an denen sie ungestört in dem Gartenlokal sitzen und lesen konnte.
    Am Ende des Sommers ergatterten sie über Bernards nützliche Verbindungen Karten für das neue Stück am Schiffbauerdamm. Carl saß neben Helene und vergaß, ihre Hand zu halten. Er ballte die Hände im Schoß zu Fäusten und schlug sich mit der Hand an die Stirn, er weinte, und im nächsten Augenblick johlte er. Nur als auf Verlangen des Publikums der Kanonensong wiederholt wurde und in den hinteren Reihen Menschen aufstanden, sich unterhakten und schunkelten, lehnte sich Carl etwas erschöpft zurück und schenkte Helene einen Blick.
    Gefällts dir nicht?
    Helene zögerte, sie legte ihren Kopf schief. Ich weiß noch nicht.
    Das ist genial, sagte Carl, sein Blick war längst wieder auf der Bühne und sollte im Laufe der Vorstellung nicht mehr zu Helene gelangen, gebannt lauschte er Lotte Lenya, fast benommen sah er dabei aus. Als auf die erste Strophe des Eifersuchtsduetts eine zweite folgte, prustete Carl, er hielt sich den Bauch vor Lachen.
    Carls Wangen waren gerötet, als er schon aufstand und klatschte, ehe der letzte Vorhang fiel. Das Publikum brodelte. Die Menschen wollten nicht gehen, ehe die Schlussstrophen der Moritat noch einmal gesungen wurden. Das Publikum grölte mit, selbst Harald Paulsen bewegte seine Lippen, nur war es im Lärm nicht mehr hörbar, ob er dieses Lied oder ein anderes sang. Der Beifall toste. Blumen wurden aus dem Rang und vom Parkett auf die Bühne geworfen. Wie Püppchen, so erschien es Helene, verbeugten sich die Schauspieler, kleine Stehaufmännchen, die, von ihren Claqueuren wieder und wieder in die Waagerechte genötigt, ihres Auftritts nicht müde wurden. Die Scheinwerfer ließen keinen der Schauspieler von der Bühne und keinen Zuschauer aus dem Saal. Sie beklatschen sich selbst, ging es Helene durch den Kopf, als sie sich vorsichtig umsah. Die frisch eingesprungene Roma Bahn riss sich ihre lange Perlenkette vom Hals und

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