Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
Vom Netzwerk:
pusten.
    Das wär mir egal. Carl streichelte mit beiden Händen ihr Gesicht. Er bedeckte ihr Gesicht. Lass uns nach Hause gehen. Er schob seine Hand in ihren Sommermantel und hielt ihren untersten Rippenbogen. Das ist dein schönster Ort. Helene fürchtete, er könne die Wölbung der Rippe für ihre Brust halten, unter so einem Mantel, war er auch noch so leicht, konnte man sich schon irren. Sie pustete wieder gegen seine Schulter, aber das Lindenblatt blieb hartnäckig liegen. Jetzt hob sie ihre Hand, sie wollte nicht, dass er das Lindenblatt bemerkte, sie strich seinen Kragen glatt und sah aus dem Augenwinkel, wie das Blatt zu Boden segelte.
    Sie nahmen vom Bahnhof Zoologischer Garten die Straßenbahn zum Nollendorfplatz. Hand in Hand liefen sie die Treppe zu seiner Dachkammer hinauf. Er schloss die Tür auf, hängte seinen Hut an den Haken und half ihr, den Sommermantel auszuziehen, die Schuhe auszuziehen, das Kleid auszuziehen. Lass dich sehen. Sie zeigte sich. Dass sich ihm jemals eine Frau zeigen würde wie sie, darauf hatte er nicht hoffen können, ihm hatte schlicht die Vorstellung gefehlt. Sie lachte, als schäme sie sich, und er wusste, dass sie diese Scham nicht kannte. Er liebte sie für das Spiel. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch, wie es eine Frau tun könnte, die sich bedecken wollte. Doch sie schob ihre Hand zur Scham, in die Leiste, zwischen ihre Schenkel. Dabei wurde ihr Blick fester, ihre Nasenflügel bebten und ihr Mund deutete ein Lächeln an. Ihre Finger schienen den Weg zu kennen. Dann führte sie ihre Hand zum Mund, es sah aus, als müsse sie aus Verlegenheit an den Nägeln knabbern. Plötzlich drehte sie sich um, blickte über ihre Schulter, in der die Grübchen lockten, und fragte: Worauf wartest du?
    Er legte sie auf das Bett und küsste sie.
    Der Morgen graute, als sie voneinander ablassen konnten.
    Carl stand auf und öffnete das Fenster. Es wird kühl, der Herbst liegt in der Luft.
    Komm her, Helene klopfte neben sich auf das Kissen. Carl legte sich zu ihr. Er wollte keine Decke. Der Anblick seiner Nacktheit gefiel ihr. Er war erschöpft, der letzte Schlaf schon lange her. Sie hatte tagsüber noch gearbeitet, er studiert, sie waren in einer kleinen Gaststätte etwas essen gewesen, Königsberger Klopse, ihr Leibgericht, sie waren ins Theater gegangen und hatten auf der Brücke gestanden. Später gab es ihr schwaches Ja unter der Linde. Sie schämte sich, als sie daran dachte. Sie streichelte seine Brust und umkreiste seinen Nabel, von dem aus eine lange Narbe abwärts führte. Akuter Blinddarm, Darmverschlingung, Verschluss beinahe, beinahe Schluss. Ihre Hand berührte geschickt jeden Flecken seines Körpers rund um den Hof seines Geschlechtes, suchte seine Lenden und mied sein Geschlecht. Er wusste, dass sie mit ihm spielte und wie sie ihn an anderen Tagen eben dort anfassen konnte. Es gab nichts an seinem Körper, vor dem sie eine Scheu gehabt hätte. Das war ihm manchmal unheimlich, schließlich behauptete sie doch, er wäre ihr erster Mann. Was war schon der Erste? Der Letzte wollte er sein, also hatte er zu ihr gesagt: Du bist meine Letzte, hörst du, meine süße Allerletzte. Er legte seine Hand auf ihre Hüfte.
    Am besten gefallen hat mir die Lenya, wie sie ihre Rache ankündigt. Gib zu, das geht unter die Haut.
    Helene konnte nicht glauben, dass er wieder davon anfing. Das arme Mädchen, sagte sie. Sie ließ Carl hören, dass sich ihr Mitleid in Grenzen hielt. Du lässt dich mitreißen. Helene schüttelte den Kopf, gütig, wie eine Mutter über ihr Kind.
    Entfachen, ja. Die Oper hat gezündet, das hat Knall gemacht.
    Und Puff. Helene blies ihm ins Ohr.
    Seine Hände streichelten ihren Bauch, sein Mund suchte ihre kleinen Zitzen, die sein waren, sein allein, allein sein. Ehe Helene sich hingab, flüsterte sie in seinen Haarschopf: Ich möchte nur nicht, dass du erblindest.
    Später, die Sonne fiel schon auf ihr Bett, wachte Helene über ihn, sie sah zu, wie er schlief. Seine Augäpfel bewegten sich unter den Lidern wie kleine Lebewesen, etwas Stimmhaftes aus seiner Kehle ließ ihn zusammenschrecken, dann atmete er ruhig. Helene flüsterte ihm etwas ins Ohr und hoffte, dass Worte, die sich im Schlaf in die Träume stahlen, diese Worte mit ihrer Stimme, tief in ihn sanken, in jede Zelle seines Daseins. Sie war zu müde zum Schlafen.

Man müsse Körper und Seele trennen, sagte Leontine, anders könne sie nicht arbeiten.
    Den Affekt vom Ding lösen, das ginge wohl nur zugunsten des

Weitere Kostenlose Bücher