Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

gespielt. Ich war am Nabel der Zeit, und nun ...«
    » Warte mal«, sagt Arndt und überlegt. »Möllemann verzichtet bei den Wahlen im nächsten Jahr in Nordrhein-Westfalen auf die Spitzenkandidatur. Man ist ihm auf die Schliche gekommen. Hat irgendwie Dreck am Stecken. Daran erinnere ich mich.«
    » Ja?«
    » Ja. Und vor ein paar Tagen kam es in Bonn während der Aussprache über die Regierungserklärung im Bundestag zu Tumulten, nach denen zwei Abgeordnete der Grünen ausgeschlossen wurden. Jürgen Reents für fünf Tage und Joseph Fischer, glaube ich, für zwei Tage.«
    » Fischer, der mit den Turnschuhen?«
    » Ja, der.«
    » Aus dem wird nie was. Ist und bleibt ein Krawallmacher. Und diese Grünen sind ein Witzverein. Zum Scheitern verurteilt. Und sonst?«
    » Mehr weiß ich nicht. Ist ziemlich ruhig zum Jahresende hin. Nein, warte ... man sagt, es sind schon fünfzig Prozent des deutschen Waldes kaputt, aber wer das glaubt, ist selbst schuld.«
    » Okay, das ist wirklich nicht viel. Und ich glaube es nicht. Punkt.«
    » Sagte ich doch. Lass uns heute zusammen die Tagesschau sehen.«
    » Nein«, sagt Mike. »Zu viele Bilder, zu hell, zu viele Worte.«
    » Dann berichte ich dir, was geschehen ist. Ich kaufe den Spiegel und lese dir daraus vor, okay?«
    » Ja, das wäre schön. Also zurück zum Thema. Ich möchte ein Geständnis ablegen, bevor ich sterbe. Vielleicht einen oder zwei Tage zuvor. Wir müssen schauen, wie es mir dann geht.«
    » Wie stellst du dir das vor?«
    » Du holst die Kripo her.«
    Arndt lächelt und streicht Mike über den Kopf. Ihm ist nach Weinen zumute, aber er hat in den letzten Wochen gelernt, sich zu disziplinieren. Tränen nützen keinem von ihnen. Mike wird in Kürze sterben. Gemeinsam haben sie beschlossen, das nicht im Krankenhaus geschehen zu lassen. Zweimal am Tag kommt eine Krankenschwester und setzt die Kanülen und Katheder. Danach ist Arndt mit Mike alleine. Und bereut bitterlich.
    Es war vor einer Woche, als Mike seinen Zorn offenbarte.
    Und aus Liebe Hass schuf.
     
     
    »So sind wir uns ähnlicher, als wir denken«, sagte Mike. »Jeder von uns bringt Menschen um, ohne es zu wollen.« Und nach einer langen Pause: »Warst du mir treu in den letzten vier Jahren?«
    Arndt senkte den Blick.
    Nur wenige Schwule lebten wirkliche Treue. Mike wusste das und Arndt war versucht, zu lügen. Aber er konnte es nicht.
    Mike lachte krächzend. »Siehst du ... dann frage dich mal, wie viele Männer du angesteckt hast? Ihr Schwulen mit eurer sexuellen Freigiebigkeit. Ist ja nur Sex, hat nichts mit der Seele zu tun. Hier einen blasen, da einen wegstecken. So sind Männer eben, nicht wahr? Denken mit dem Schwanz und zwei Männer denken mit zwei Schwänzen, was hochexplosiv ist. Und ich ... ich Narr, hätte mit Marita wieder anfangen können, und habe es nicht getan. Ich war dir treu, wie ein Heteromann treu sein kann. Im Grunde genommen passen wir nicht zusammen, taten es nie, aber nun sterbe ich wie ein echter Schwuler. An Aids. Ich bin ein Mörder um zwei Ecken herum und du auch. Ich erhalte dafür meine Strafe, du irgendwann auch. Ich liebe dich nicht mehr, aber ich werde dein Bett vollscheißen, bis meine letzte Minute gekommen ist.« Mike verzerrte das Gesicht zu einer Fratze und starrte an die Wand. Er schnippte mit den Fingern. »Und nun besorg mir was zu rauchen. Geh zum Bahnhof, da kriegst du was. Besorg mir gutes Gras. Ich will noch etwas Spaß haben. Und die Schmerzen nimmt es außerdem.«
    » Aber ...«, begehrte Arndt auf, der am ganzen Körper zittert.
    » Mach es«, zischte Mike und Arndt gehorchte. Das grelle Lachen des Todgeweihten begleitete ihn bis ins Treppenhaus.
     
     
    Seitdem ist Arndt willig, wenn Mike etwas fordert.
    Und er fordert viel. Einmal forderte er, dass Arndt ihn befriedigte, während ein Videosexfilm lief, zwischen Männern und Frauen. Er weckt Arndt dann, wenn dieser in der Tiefschlafphase ist, und lässt sich Gummibärchen bringen. Manchmal fordert er Getränke, und stets fordert er Aufmerksamkeit.
    Arndt tut, was er kann, auch wenn er nun weiß, dass Mike ihn nicht mehr liebt. Das ist seine Buße, seine Strafe, sein vorübergehendes Dilemma. Und hier liegt die Betonung auf dem Wort vorübergehend .
    Er ist ein braver Partner.
    Ein guter Pfleger.
    Ein aktiver Drogenkurier. Er ist ein Mörder. Wie Mike sagte, um zwei Ecken herum. So kommt er sich vor, so denkt er über sich und so schreit er es in seine Alpträume.

14
     
    Thomas schielt auf die