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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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ein artikuliertes Ich hab dich lieb, Mama !
    Sie dreht sich vom Spiegel und geht nach nebenan.
    Ihre Gedanken sind in der jüngeren Vergangenheit, bei den Wochen, in denen sie Jasmina verloren gab. Sie erinnert sich. Erinnert sich immer wieder, denn das ist wichtig, um zu überleben.
     
     
    Es sind die schlimmsten Wochen ihres Lebens, schlimmer, als die Zeit nach Jonathan, schlimmer, als die Zeit nach der Wahrheit und dem Betrug, denn selbstverständlich war auch eine andere Frau im Spiel.
    Es beginnt damit, dass Jasmina Schmerzen hat. Sie weint. Da sie selten weint, erfasst Ottilie, dass etwas nicht stimmt. Der Arzt empfiehlt Paracetamol, ein Schmerzmittel, und Ottilie verabreicht es ihrer Tochter.
    Die Situation bessert sich nicht, und der Arzt empfiehlt eine Erhöhung der Dosis. Ottilie hat ein schlechtes Gefühl, weiß nicht wirklich warum, aber etwas in ihrem Magen warnt sie. Zwei Tage später erbricht Jasmina, sie hat keinen Appetit mehr und Unterleibsschmerzen.
    Im Krankenhaus stellt man eine Leberschädigung fest. Jasmina hat eine Paracetamolvergiftung. Der Arzt murmelt: »Sie könnte daran sterben, wenn die Leber versagt.«
    » Aber Sie haben mir Paracetamol empfohlen. Sie haben mir auch geraten, die Dosis zu erhöhen.«
    » Hatten Sie eine bessere Lösung, Fräulein Wille?«
    » Bin ich ein Doktor?«
    Der Arzt lässt sie einfach stehen und Ottilie spürt Tränen der Wut auf ihren Wangen.
    Dann kommen die Werte. Die Lebertransaminasen, Laktatdehydrogenase, der Bilirubinwert und das Prothrombinzeit sind dramatisch erhöht. Nun macht sich Jasminas Herzmuskelanomalie bemerkbar.
    Ottilie ist verzweifelt. Sie ruft Jonathan an, doch der lässt sich verleugnen. Sie bekommt ein Bett in Jasminas Zimmer, aber als ein neuer Patient kommt, muss sie es räumen. Sie schläft kaum noch und wacht bei ihrer Tochter, wann immer sie kann.
    Das Gesicht aschfahl, die Augen halb geschlossen, die Lippen schmal und ohne Leben, liegt das Kind dort, während es aus dem durchsichtigen Plastikbeutel in ihre Venen tröpfelt. Der Urin wird in einem Beutel aufgefangen, in dem es blutrot schwappt.
    Ottilie bereitet sich darauf vor, ihre Tochter zu verlieren.
    Und sie spürt verwundert, dass ihr die Tränen fehlen. Erst als Mama und Papa zu ihr kommen, weint sie. Sie überlegt, ob der Tod für Jasmina eine Erlösung wäre. Und sie überlegt, ob es auch sie erlösen würde? Die Lebenszeit eines derart geschädigten Kindes wird ohnehin niedrig angesetzt, warum also soll es jetzt nicht vorbei sein? Jasmina ist immerhin vier Jahre geworden und hat viel gelacht. Eigentlich lacht sie meistens, denn sie hat keine dunklen Gedanken. Sie lebt für den Augenblick und in diesem ist sie glücklich.
    Papa sagt: »Jasmina hält immer an der Gegenwart fest. Jeder Zustand, jeder Augenblick ist für sie von unendlichem Wert, denn er ist der Repräsentant einer ganzen Ewigkeit.«
    Für Jasmina klingt das nach Goethe, dem sie auch ihren leidigen Namen zu verdanken hat. Papa nannte sie so, weil er jene Ottilie aus Goethes Wahlverwandtschaften so bestechend fand. Was er seiner Tochter, besonders in der Schulzeit, damit antat, ahnt er nicht.
    Sie blicken sich über den kleinen schmalen Körper an.
    »Was tust du, wenn sie stirbt?«, fragt Papa.
    Ottilie überlegt. »Daran will ich nicht denken. Jasminas Gegenwart gilt auch für mich.«
    Mama lächelt und obwohl Ottilie eine harte Kindheit mit dieser Frau hatte, mag sie ihr nicht nachtragend sein, zumindest jetzt nicht. Sie weiß, dass auch Lotte und Frank Wille viel verlieren, sollte Jasmina sterben, eine Enkeltochter, die sie sehr lieben. Mit einer Intensität lieben, die Ottilie sich manchmal für sich gewünscht hätte, vor allen Dingen damals, als sie sich die Arme zerschnitt und ihren Vater für einen kaltblütigen Mörder hielt.
    »Was ist das?«, fragt Mama.
    Ottilie blickt auf den Beutel. Erschüttert hebt sie ihn an und hält ihn gegen das Licht. »Mein Gott ...«, stößt sie hervor.
    Im Beutel schwimmen Dinge, die dort nicht hingehören. Organische Fetzen, die sich langsam bewegen, wie winzige verfaulende Fische, und Schlieren hinter sich herziehen.
    »Das kommt aus ihrer Blase?«, fragt Mama zögerlich.
    » Ja«, stöhnt Ottilie. »Das kommt aus der Blase und es sieht aus wie totes Gewebe.«
    Eine sofortige Untersuchung bringt es an den Tag. Jasminas Nieren zersetzen sich und stoßen tote Teile ab. Man verabreicht ihr N-Acetylsystein, welches toxische Paracetamolmetabolite, wie zum Beispiel N

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