Die Mitternachtsprinzessin
prüfenden Blick zu, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht zu sehr litt. Sie saß weiterhin auf ihrem Pferd und blickte in den Wald. Gabriel setzte seine Untersuchung des Schauplatzes fort und verließ die Straße, um sich die Bäume genauer anzusehen, die sie vor dem Angriff als Versteck benutzt hatten.
In der Rinde einer Buche entdeckte er einen Querschläger. Er holte ihn mit einem Messer heraus und betrachtete ihn, konnte ihm allerdings nur wenig entnehmen. Die gewöhnliche Silberkugel hätte allen möglichen Waffen entstammen können.
Gabriel trat einen Schritt zurück, um den großen alten Baum zu betrachten. Schließlich packte er einen Ast und begann zu klettern. Seine Anstrengungen verursachten ihm einen stechenden Schmerz im Bauchbereich, dort, wo er verwundet worden war. Aber er machte weiter und wollte sehen, wie das Gelände aus der Perspektive der Angreifer aussah.
Sophia beobachtete ihn neugierig, als er den ersten großen Ast erreichte, an dem zwei Seile hingen. Er untersuchte die Knoten. Die Seile selbst waren gewöhnliche Tampen, wie sie überall erhältlich waren. Von seinem Sitzplatz auf dem Ast sah er sich um. Die Schurken hatten die Gruppe mindestens eine Viertelmeile vorher sehen können.
Von seiner Position aus konnte er sehen, wie Sophia von ihrer Stute abstieg. Getrieben von dem Verlangen, in ihrer Nähe zu bleiben, ließ er sich am Seil herab und sprang zu Boden. Dann ging er zu ihr hinüber.
Er wollte ihre Version der Geschichte unter vier Augen hören, daher schickte er die beiden Männer fort, die sie bewacht hatten, damit sie mit den anderen nach Indizien suchten. Danach bat er Sophia, ihm genau die Ereignisse der schrecklichen Nacht zu schildern, so gut sie sich erinnerte.
Sie beschrieb den Überfall auf die Kutsche, von welcher Seite die Angreifer in das Gefährt eindringen wollten, wie sie aussahen und sich angehört hatten, wie sie gegen sie gekämpft und wie Lady Alexa hysterisch geschrien hatte. Schließlich schilderte sie, wie Leon ihr das Pferd gebracht und sie fortgeschickt hatte. Sophia deutete auf die steinerne Mauer und die Wiese, die durch den dichten Wald nördlich der Straße zu sehen waren, und zeigte ihm, wie sie zu Pferde über die Mauer gesetzt hatte, um zu fliehen. Gabriel nickte und stellte sich das Chaos vor, das in jener Nacht geherrscht haben musste.
„Sollen wir zum Feld hinübergehen?“, schlug Sophia mit bemerkenswerter Tapferkeit vor, trotz der sichtbaren Trauer in ihren Augen, die daher rührte, dass sie die Ereignisse jener Nacht noch einmal durchlebte.
„Nein.“
Sie sah ihn fragend an.
Die Männer hatten ihm gesagt, dass die heftigsten Kämpfe auf diesem Feld stattgefunden hatten, nachdem sie davongaloppiert war. Die Schurken hatten versucht, sie zu verfolgen, aber unter dem Befehl des verletzten Leon hatten die Wachen sich zumindest insoweit versammeln können, dass es ihnen gelang, die Bastarde zurückzuhalten, damit die Prinzessin fliehen konnte.
Sophia runzelte die Stirn. „Meinst du nicht, wir könnten etwas Nützliches finden ...“ Sie verstummte, als sie seine besorgte Miene sah. „Ich verstehe. Dort ist Leon gefallen."
Er nickte und strich ihr beruhigend über den Arm.
„Ich möchte die Stelle sehen.“
„Sophia, du hast schon genug durchgemacht“, sagte er sanft, aber entschieden. Es war nicht nötig, dass sie die Blutflecke im Gras sah, wo jemand, der ihr nahestand, sein Leben verloren hatte.
Sie wandte sich ab, widersprach aber nicht. Obwohl ihre Wangen an dem kühlen Oktobernachmittag gerötet waren wirkte ihr Gesicht wie eine starre Maske. Sie zog sich den dunklen Umhang etwas fester um die schlanke Gestalt, und Gabriel schüttelte über sich selbst den Kopf.
„Ich hätte dich nicht hierherbringen sollen.“
„Ich brauche Sie, damit Sie mich vor den Attentätern beschützen, Colonel, nicht vor der Wahrheit.“ Sie blickte hinaus zu dem Feld, auf dem Leon gefallen war. „Das hatte er nicht verdient.“
Gabriel sagte nichts, stand nur schweigend neben ihr. Er fühlte ihren Schmerz, als wäre es sein eigener, und sehnte sich danach, sie in den Arm zu nehmen. Es schien unmenschlich, das nicht zu tun, aber abgesehen von der Notwendigkeit, eine professionelle Distanz zu wahren, konnte er sich gut vorstellen, was ihre griechischen Leibwachen dazu sagen würden.
„Colonel!“ Es waren die Männer, die ihn von der Steinmauer plötzlich heranwinkten. „Hoheit, wir haben etwas gefunden!“
Als sie dorthin
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