Die Mitternachtsprinzessin
eilten, deutete Timo in die Büsche am Fuße der Mauer. „Es sieht aus, als hätte einer von den Angreifern hier eine Waffe fallen gelassen. Wir haben sie noch nicht berührt, damit Sie die genaue Position sehen können.“ Timo trat zurück, um ihnen Platz zu machen, und Gabriel beugte sich mit zusammengekniffenen Augen vor.
Ein schimmernder Dolch mit einem schwarzen Griff lag halb versteckt in dem von Blättern bedeckten Gras.
Neben ihm stand Sophia und starrte auf die Waffe, dann griff sie behutsam ins Gebüsch, ohne auf einen Rat zu warten, und hob sie auf.
Gabriel drehte sich zu ihr um, damit sie ihm den Dolch gab, dabei sah er die Wut in ihrem Gesicht. Sie fluchte leise in ihrer Muttersprache, dann blickte sie alle an, die sich in ihrer Nähe befanden. „Zu den Pferden, rasch.“
„Hoheit?“, fragte Gabriel.
„Ich wusste es“, sagte sie. „Der Teufel soll ihn holen!“ „Wen?“
„Ali Pascha!“
Ein zorniges Murmeln erhob sich unter ihren Männern, als sie diesen Namen hörten.
„Ich wusste es die ganze Zeit über! “
„Was macht dich so sicher?“, fragte Gabriel leise.
„Sieh doch!“ Mit aschfahlem Gesicht hielt Sophia den leicht gebogenen Dolch hoch und zeigte auf die Gravuren am Griff. „Siehst du diese Zeichen? Das ist Arabisch.“ „Ich kenne diese Schriftzeichen“, erwiderte er. Dank seiner Freundschaft mit den Söhnen des Nizams von Hyderabad, eines muslimischen Herrschers, war er recht vertraut mit den Sitten des Islam. Ihm war auch bekannt, dass es bei ihren Kriegern üblich war, Koranverse auf ihre Lieblingswaffen zu gravieren. „Darf ich die Klinge einmal sehen?“
Sie reichte ihm die Waffe. Als Gabriel sie untersuchte, bemerkte er neben den Koranversen noch einige sonderbare Markierungen.
„Kommt“, befahl Sophia den Männern, wandte sich ab und begab sich zu ihrem Pferd.
„Wohin reiten wir?“, rief der stämmige Niko und beeilte sich, ihr zu folgen.
„Zurück zum Schloss“, befahl sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. „Es ist an der Zeit, dass ich ein Wörtchen mit dem türkischen Botschafter rede.“
Gabriel war sich nicht so sicher, was der Dolch zu bedeuten hatte. Wachsam sah er die griechischen Wachen an. Eine weitaus ernstere Erklärung formte sich in seinem Kopf.
Wie einfach wäre es für einen ihrer Männer gewesen, die Waffe an diesem Ort zu platzieren und so zu tun, als hätte er sie gerade eben erst gefunden. Wie hatten ihre Feinde überhaupt wissen können, dass Sophia genau auf dieser Straße unterwegs war, genau an diesem Tag?
Seine Miene verfinsterte sich bei der Vorstellung, dass es einen Verräter in ihrer Mitte gab. Er saß auf und merkte sich, dass es Timo war, der die Waffe zuerst gesehen und die anderen herbeigerufen hatte.
Der Mann schien Sophia ergeben zu sein, aber das war vielleicht nur eine Tarnung.
Gabriel wich nicht von Sophias Seite. Seine Sorgen behielt er im Moment noch für sich, während sie alle zurück zum Schloss ritten, Meilen um Meilen im Licht der untergehenden Sonne.
Als sie ankamen, war es Nacht geworden. Sie trabten am Torhaus vorbei und dann die lange, gewundene Auffahrt hoch.
Vor ihnen hob sich der mittelalterliche Umriss des Schlosses dunkel vor dem Sternenhimmel ab, nur in den Fenstern war ein heller orangefarbener Schein zu erkennen. Sie ritten über die Brücke, unter dem Vordach hindurch und anschließend in den Innenhof.
Sofort nachdem die Prinzessin von ihrer Stute abgestiegen war, suchte sie die steinernen Gänge des Schlosses auf, das Gesicht gerötet von der Kälte, die schwarzen Locken zerzaust vom schnellen Ritt zurück. Den Hut hatte sie abgenommen, doch die Gerte hielt sie noch immer in der Hand, wild entschlossen, dem türkischen Botschafter entgegenzutreten.
Gabriel begann sich ein wenig zu sorgen über das, was sie vorhatte. Sie befahl Yannis, herauszufinden, ob der osmanische Vertreter bereits eingetroffen war. Die Antwort erhielt sie umgehend. Ja, er sei schon angereist, er würde sich gerade in einer Besprechung mit Lord Griffith im Kartenraum befinden.
Sophia nickte, während sie den Weg zu diesem Kabinett hinter dem Thronsaal einschlug. Gabriel setzte sich ebenfalls in Bewegung. „Hoheit“, stieß er hervor, während er sich bemühte, mit ihr Schritt zu halten.
„Ja, Colonel?“ Sie blickte starr geradeaus.
„Was wollen Sie dort tun?“
Sie warf einen Blick über die Schulter, offenbar erstaunt, dass sie ihre Pläne erklären sollte. „Ich werde dem türkischen
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