Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
fallen. Doch dann beließ sie es dabei, ihn aus den blauen Augen ernst anzusehen. “Ich denke, ich schulde Ihnen eine Erklärung.”
“Nein. Das ist nicht nötig. Ich kann verstehen, dass Sie öffentliches Aufsehen vermeiden wollen.” Er schüttelte den Kopf. “Es tut mir leid, ich hätte nicht vorschlagen sollen, mir diesen Kerl vorzuknöpfen. Es ist nur so, dass ich nur eines noch mehr hasse als angelogen zu werden – und das sind Männer, die einfach nicht wissen, wann es genug ist.”
Für einen winzigen Moment schaute sie ihn aus ihren veilchenblauen Augen an wie ein verschrecktes Rehkitz, und er musste dem Drang widerstehen, sie schützend in die Arme zu schließen.
“So”, rief er, vor allem, um sich selbst abzulenken. “Und jetzt sollten wir unser verpatztes Abendessen nachholen. Ich sterbe vor Hunger.” Fragend sah er sie an. “Irgendwelche Vorschläge?”
Ihre Antwort überraschte ihn. Er hatte damit gerechnet, dass sie ein Restaurant in Gamla Stan vorschlagen würde – vielleicht mit italienischer oder französischer Küche. Doch stattdessen sagte sie: “Fischbrötchen! Ich hätte wahnsinnige Lust auf ein Fischbrötchen.”
Als Henrik lachte, errötete sie. Der Anblick ließ sein Herz schneller schlagen. Alles an ihr wirkte so frisch und unschuldig. Kaum zu glauben, dass sie in den gleichen Kreisen verkehrte wie Matilda und ihre Freundinnen.
Ein wenig schuldbewusst wurde ihm klar, dass er zum ersten Mal an diesem Abend überhaupt an Matilda dachte. Die Worte seiner Mutter kamen ihm in den Sinn. Es stimmte, die Existenz der ganzen Familie und auch die von gut zwei Dutzend Angestellten hing davon ab, dass er Matildas Vater überzeugte, ihm den Kredit für Benningklint Slott zu bewilligen. Und Göran Gunvaldsson wäre bestimmt nicht begeistert, wenn er Henrik jetzt sehen könnte. Schließlich ging er davon aus, dass seine Tochter schon bald in eine schwedische Adelsfamilie einheiratete. Wenn er erfuhr, dass sein zukünftiger Schwiegersohn sich mit einer anderen Frau herumtrieb …
Rasch schob Henrik den unangenehmen Gedanken beiseite. Es mochte unvernünftig sein, vielleicht sogar egoistisch, doch er wollte die Zeit, die er gemeinsam mit Noelle verbrachte, genießen und ausnahmsweise einmal nicht an die Zukunft denken.
“Wissen Sie was?”, erwiderte er schließlich. “Ich finde, das ist eine wirklich gute Idee. Aber wo bekommen wir um diese Zeit noch Fischbrötchen her?”
Die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich. “Kennen Sie Gröna Lund?”
Gröna Lunds Tivoli war Schwedens ältester Freizeitpark. Er hatte in den Sommermonaten selbst an Wochentagen bis spät in die Nacht geöffnet und lag an der Südwestspitze der Stadtinsel Djurgården. Von der Stockholmer Altstadt fuhr eine Fähre dorthin.
Noelle lehnte an der Reling und schaute auf das nachtschwarze Wasser, in dem sich die hell beleuchteten Attraktionen spiegelten. Fröhliche Musik wehte zu ihnen herüber, und sofort ergriff aufgeregte Vorfreude von ihr Besitz.
Sie liebte Gröna Lund bei Nacht, mit den farbenfrohen Lichtern und dem bunten Allerlei von Gerüchen. Doch heute Abend hatten das Kribbeln in ihrem Bauch und das verräterische Herzklopfen noch einen anderen Grund – Henrik.
Er stand direkt neben ihr. Sie konnte die Wärme spüren, die von seinem Körper ausging, und ein Hauch seines Aftershaves stieg zu ihr herüber. Als er kaum merklich mit der Hand ihren Arm streifte, durchlief sie ein wohliger Schauer.
“Sie frieren ja”, missdeutete er die Signale ihres Körpers, zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern.
Der Duft seines Rasierwassers machte Noelle fast schwindelig vor Sehnsucht. Für einen Moment gab sie sich der Illusion hin, anstatt vom Stoff seines Jacketts von seinen starken Armen umfangen zu sein und …
Nein, daran durfte sie nicht einmal denken! Sie zwang sich, wieder in die Realität zurückzukehren, und in der existierte kein Traumprinz für Aschenputtel. So sehr sie sich auch körperlich von ihm angezogen fühlen mochte, es konnte für sie keine gemeinsame Zukunft geben. Sie passten ganz einfach nicht zusammen.
Außerdem durfte sie nicht zulassen, dass ihre Gefühle schon wieder ihre Zukunftspläne gefährdeten. Den Fehler hatte sie bereits damals bei Felix begangen und es später bitter bereut. Auch wenn Henrik sie sicher nicht so ausnutzen wollte wie ihr Exfreund, konnte allein die Tatsache, dass sie mit ihm zusammen war, ihren großen Traum zum Platzen bringen.
Auf der anderen
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