Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
Schuld, die er auf sich geladen hatte, lastete Tag für Tag schwer auf seinen Schultern. Wie immer, wenn er an jenen schicksalhaften Abend des Unfalls vor etwas mehr als zwei Monaten zurückdachte, schien sich eine eiserne Klammer um sein Herz zu legen.
Als Sohn von Henriks jung verstorbenem Onkel war Kristian auf Benningklint Slott aufgewachsen. Sie gingen zusammen zur Schule, verbrachten die Sommerferien gemeinsam im Schloss von Henriks Familie und fuhren mit dem Ruderboot auf den Storsjön hinaus, um zu fischen oder zu baden. Doch schon damals hatte sein Cousin ein untrügliches Talent dafür gehabt, sich selbst und jeden um sich herum in Schwierigkeiten zu bringen. Daran änderte sich auch in späteren Jahren nichts. Ganz im Gegenteil, es wurde nur noch schlimmer. Und dann, eines stürmischen Frühlingsabends, kam Kristian stark angetrunken nach Benningklint Slott …
Henrik schüttelte den Kopf. Nein, jetzt war nicht der richtige Moment, um über die Vergangenheit nachzugrübeln. Kristian war tot, und Henrik trug nun die Verantwortung für Matilda und ihr ungeborenes Kind. Und wenn es ihm noch so schwerfiel, er konnte und durfte sich der Verpflichtung nicht entziehen. Nicht nur wegen Matilda, sondern auch wegen seiner Familie, dem Hotel und den Angestellten.
Schlag dir die schöne Brautjungfer aus dem Kopf – endgültig! Selbst wenn es Matilda nicht gäbe, könntest du nicht mit ihr zusammen sein. Sie würde es auch gar nicht wollen, wenn sie die Wahrheit über dich wüsste. Denk an Ingrid! Bei ihr dachtest du auch, es sei die große Liebe – und was ist am Ende daraus geworden?
Doch die Stimme seiner Vernunft verhallte unbeachtet, und so kam es, dass er zwei Minuten später den Schlossgarten verließ und den ersten Dienstboten, der ihm über den Weg lief, bat, ihm ein Taxi zu rufen.
Keine zehn Minuten später war Henrik auf dem Kronborgsväg in Richtung Stockholm.
Gegen halb acht – Noelle hatte die Hoffnung, dass er noch kommen würde, bereits aufgegeben – betrat Henrik das Restaurant. Ihr Herz machte einen erfreuten Hüpfer, als sie ihn sah, und sofort fingen die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder an zu flattern.
Vergiss nicht, warum du hier bist, ermahnte sie sich selbst. Dies ist kein romantisches Tête-à-Tête mit dem Mann deiner Träume. Es geht um deine Zukunft!
“
Hej”,
brachte sie heiser hervor, als sie sich endlich gegenüberstanden. Wie groß er war – und wie unsagbar männlich! “Ich fürchtete schon, Sie kämen nicht mehr.”
Er lächelte – und wie all die Male zuvor war die Wirkung auf Noelle umwerfend. Was hatte dieser Mann bloß an sich, dass er sie so mühelos die Kontrolle über sich selbst verlieren ließ?
“Um offen zu sein, ich wusste zunächst auch nicht, ob ich Ihrer Einladung wirklich folgen sollte”, antwortete er. “Sie kam ein wenig überraschend. Bislang endeten unsere Begegnungen immer damit, dass Sie vor mir davongelaufen sind.”
Der Kellner kam an den Tisch. Noelle war froh über die kurze Unterbrechung, weil sie ihr die Gelegenheit bot, sich ein wenig zu sammeln.
“Haben Sie bereits gewählt? Als Gericht des Tages kann ich das
Renstek med rödlok och lingon
wärmstens empfehlen.”
“Rentierbraten mit roten Zwiebeln klingt hervorragend”, nickte Henrik. Das nehme ich. Was ist mit Ihnen?”
“Für mich dasselbe, bitte”, erwiderte Noelle, ohne einen Blick in die Speisekarte zu werfen. “Sie fragen sich sicher, warum ich Sie hergebeten habe”, begann sie, als der Kellner fort war, doch Henrik schüttelte den Kopf.
“Wollen wir nicht nach dem Essen darüber reden? Wir haben doch noch den ganzen Abend Zeit. Erzählen Sie mir lieber etwas über sich.”
“Über mich?”, stieß Noelle überrascht aus. “Da gibt es nicht viel zu erzählen.”
Er lachte. Es war ein ehrliches, mitreißendes Lachen. “Also, entweder sind Sie sehr bescheiden oder einfach nur diskret. Als Freundin der Kronprinzessin von Schweden könnten Sie doch bestimmt einiges aus dem Nähkästchen plaudern. Aber keine Sorge, ich interessiere mich nicht für irgendwelche Eskapaden der Thronfolgerin. Was mich interessiert, sind Sie. Fangen wir doch der Einfachheit halber bei Ihrem Namen an. Wie heißen Sie?”
“Noelle”, antwortete sie nach kurzem Zögern. “Noelle Rosenblad. Aber ich glaube, ich muss da etwas klarstellen. Ich bin nicht …”
Sie wurde unterbrochen, als der Ober erneut an ihren Tisch trat, um die Getränke zu servieren. Mühsam unterdrückte sie einen
Weitere Kostenlose Bücher