Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
über Kopf verliebt. Es war ihr ganz selbstverständlich erschienen, die eigenen Wünsche und Zukunftspläne für ihn zurückzustellen. Sie begleitete ihn, als er beruflich für ein halbes Jahr nach Nordschweden ging, um dort übergangsweise die Leitung einer kleinen Konditoreifiliale zu übernehmen.
Natürlich half Noelle ihm, wo sie nur konnte, und es störte sie auch nicht, dass er ihre kreativen Ideen und Vorschläge als die seinen verkaufte. Was machte es für einen Unterschied? Sie liebte Felix, und er empfand dieselben Gefühle für sie.
Das zumindest hatte sie gedacht, was die Enttäuschung am Ende nur umso größer gemacht hatte.
Nun stand sie wieder vor derselben Wahl. Wie sollte sie dieses Mal entscheiden?
Noch vor wenigen Tagen hätte sie voller Überzeugung behauptet, die Antwort auf diese Frage zu kennen. Doch inzwischen war sie sich da längst nicht mehr so sicher.
Leise schloss Henrik die Tür des Zimmer hinter sich, in dem er und Matilda für die Dauer ihres Aufenthalts auf Schloss Kronborg untergebracht waren. Der Raum war dunkel, nur durch das geöffnete Fenster fiel silbriger Mondschein. Vermutlich war Matilda bereits zu Bett gegangen, oder sie amüsierte sich – was er für noch wahrscheinlicher hielt – gemeinsam mit alten Freunden in Stockholm.
Jede dieser Alternativen war ihm recht, solange er sie nur heute Abend nicht mehr sehen musste. Er fürchtete nämlich, dass sie ihm das schlechte Gewissen sofort ansehen würde.
Mit einem lautlosen Seufzen schüttelte er den Kopf. Er hätte es niemals so weit mit Noelle kommen lassen dürfen. Sie am Abend des Banketts im Schlosspark beinahe zu küssen, war ein gewaltiger Fehler gewesen.
Dafür, dass er es vorhin auf dem Rummelplatz tatsächlich getan hatte, gab es nur ein Wort: unverzeihlich. Und zwar nicht nur, weil er Matilda heiraten würde.
Hatte er sich nach der Sache mit Ingrid nicht geschworen, nie wieder zuzulassen, dass sich eine Frau in sein Herz schlich? Die Demütigung von damals reichte für ein ganzes Leben. Dabei war er sich ihrer Liebe so sicher gewesen.
Was bewies, dass er sich auf seine Menschenkenntnis einfach nicht verlassen konnte.
“Wo zum Teufel hast du den ganzen Abend gesteckt? Ich warte schon seit Stunden auf dich.”
Henrik blinzelte, als plötzlich das Licht der Stehlampe aufflammte. Matilda saß auf dem geschnitzten Rokokostuhl, der neben dem Bett stand, und musterte ihn kühl.
“Ich habe mich mit einem ehemaligen Kommilitonen getroffen”, erwiderte er rasch. Bei dieser Lüge fühlte er sich zwar alles andere als wohl, doch was blieb ihm anderes übrig? Die Wahrheit erschien ihm jedenfalls wenig angebracht.
“Wenn du deine Zeit lieber mit alten Studienkollegen verbringst als mit deiner zukünftigen Frau …”
“Du warst es doch, die mich praktisch vor die Tür gesetzt hat!”, warf er ein.
Scheinbar gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. “Nun, vielleicht interessiert es dich ja, dass deine Mutter vorhin angerufen hat.”
“Mutter?” Er dachte an das letzte Telefongespräch mit ihr und verzog das Gesicht. Vermutlich zielte ihr erneuter Anruf nur darauf ab, ihn noch weiter unter Druck zu setzen – das konnte er im Augenblick wahrhaftig nicht gebrauchen. Trotzdem fragte er: “Was wollte sie denn?”
“Es ging um deinen Vater”, erklärte Matilda so lapidar, als würde sie über den Wetterbericht sprechen. “Er hat einen Schwächeanfall erlitten und wurde ins Krankenhaus eingeliefert.”
Eisige Kälte breitete sich in Henrik aus. “Ich muss sofort zu ihm!”, erklärte er mit bebender Stimme.
Aber Matilda schüttelte den Kopf. “Deine Mutter hält es für besser, wenn du hier bei mir auf Kronborg Slott bleibst.”
Zuerst wollte Henrik empört protestieren, doch dann zwang er sich nachzudenken. Das Verhältnis zwischen seiner Mutter und ihm mochte nicht immer das allerbeste sein, doch sie würde ihn nie aus eigennützigen Gründen davon abhalten, ans Krankenbett seines Vaters zu eilen.
Daher konnte ihre Bitte nur einen Grund haben: Sie wollte, dass er seine Aufgabe hier in Stockholm zu einem erfolgreichen Abschluss brachte. Alles andere würde Konrad Albrektson in seinem ohnehin geschwächten Zustand einfach nicht verkraften.
In diesem Moment sah er seine Zukunft ganz deutlich vor sich. Er würde Matilda heiraten und mit ihr den Rest seines Lebens verbringen. Daran gab es jetzt nichts mehr zu rütteln. Denn wenn er es nicht tat und Menschen, die er liebte, durch seine Schuld zu
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