Die Mitternachtsrose
seiner Gesellschaft hatten genügt, um ihr ins Gedächtnis zu rufen, warum sie sich noch zu keinem Ja zu seinem Antrag hatte durchringen können. Als sie über das mit Sonnenflecken übersäte Gras zwischen den hohen Kastanien schlenderte, wurde ihr bewusst, dass die Wochen in Astbury sie verändert hatten. Sie war in der Lage, die Dinge klarer zu sehen, als spiegelte die Weite von Astbury den neu gewonnenen Raum in ihrem Kopf. Wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war, hatte Jack sie, als er in der vergangenen Nacht betrunken und high in ihr Zimmer gestolpert war, angeekelt.
Vor dem Hintergrund von Astbury wirkte er wie ein personifiziertes Hollywoodklischee. In der Filmwelt mochten Jacks Verhalten, sein Ego und seine Selbstverliebtheit vielleicht als normal gelten, doch in der Realität, in der die Menschen ihr Leben Tag für Tag aufs Neue meistern mussten, war das nicht der Fall. Egal, wie oft sie Entschuldigungen für Jacks Abhängigkeit von Drogen und Alkohol zu finden suchte: Letztlich konnte sie damit nicht leben. Aus bitterer Erfahrung wusste sie, dass dieser Weg ins Nichts führte.
Sie sah keine Möglichkeit, seinen Antrag anzunehmen. Auch wenn die Welt nicht begreifen würde, warum. Schließlich musste nicht die Welt mit ihm zusammenleben, sondern sie. Sie würde ihm sagen, dass sie ihn nicht heiraten könne, solange er sein Leben nicht in Ordnung bringe. Immerhin wäre sie, wenn sie es ihm hier in Astbury mitteilte, vor den Medien geschützt. Natürlich würde ihr Agent in die Luft gehen. Aber allmählich wurde Rebecca klar, dass sie sich in den vergangenen Jahren von zu vielen anderen Menschen – die meisten von ihnen Männer – hatte beeinflussen lassen. Sie musste die Verantwortung wieder selbst übernehmen, egal, wie es ausging.
Vielleicht war ihr Nein auf seinen Heiratsantrag genau das, was Jack brauchte, um zur Besinnung zu kommen.
Plötzlich merkte sie, dass sie sich in einem Teil des Parks befand, in dem sie noch nie gewesen war. Inmitten eines kleinen Wäldchens entdeckte sie ein Bauwerk, das ein wenig an einen griechischen Tempel erinnerte und in dieser englischen Idylle fehl am Platz wirkte. Sie stieg die Stufen zwischen den weißen Marmorsäulen hinauf. Zu ihrer Überraschung ließ sich die große Tür öffnen.
Rebecca betrat schaudernd das kühle, dunkle Innere. Sie erinnerte sich, dass Anthony erwähnt hatte, seine Vorfahren seien in einem Mausoleum auf dem Anwesen begraben. Eigentlich wollte sie gleich wieder gehen, doch dann fiel ihr Blick auf die großen Steinplatten an den Wänden, auf denen die Namen der Verstorbenen eingraviert waren. Hier lagen die früheren Bewohner von Astbury, Ehegatten auf ewig im Tod vereint; die Daten reichten bis ins sechzehnte Jahrhundert zurück. Rebecca wandte sich den neueren Grabmälern zu und entdeckte die letzte Ruhestätte von Lord Donald und Lady Violet Astbury:
Donald Charles Astbury
1. Dezember 1897 – 22. August 1922
Violet Rose Astbury
14. November 1898 – 25. Juli 1922
Rebecca bekam eine Gänsehaut, als sie noch einmal das Datum von Donald Astburys Tod las. Er war so jung gestorben … und nur einen Monat nach Violet. War das Zufall? Neben dem Gedenkstein für Donald und Violet befand sich der für Lady Maud Astbury – sie hatte ihren Sohn um dreiunddreißig Jahre überlebt, war 1955 im Alter von dreiundachtzig Jahren verschieden und neben ihrem Mann George begraben, der bereits 1911, vierundvierzig Jahre vor ihr, das Zeitliche gesegnet hatte. Der neueste Stein gehörte Anthonys Mutter:
Daisy Violet Astbury
25. Juli 1922 – 2. September 1986
Anthony Donald Astbury
20. Januar 1952 –
Das Sterbedatum unter Anthonys Namen war noch nicht eingemeißelt.
Unter dem Stein stand eine große Vase mit frischen Rosen. Rebecca kniete nieder und roch daran. Es wunderte sie, dass Anthonys Vater offenbar nicht neben dessen Mutter Daisy begraben lag. Stattdessen würden irgendwann einmal Anthonys Gebeine ihre letzte Ruhe neben den ihren finden. Als Rebecca das Mausoleum verließ, fragte sie sich, warum Anthony fünfundzwanzig Jahre zuvor beschlossen hatte, neben seiner Mutter begraben zu werden, nicht neben der Frau, die er möglicherweise irgendwann einmal heiraten würde.
Während sie durch den Park zurück zum Haus schlenderte, kam Rebecca wieder einmal der Gedanke, dass Anthony wahrscheinlich schwul war. Oder er interessierte sich überhaupt nicht für Sex und hatte das immer schon gewusst.
Egal, wie seine Vorlieben aussahen: Der
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