Die Mitternachtsrose
desinteressiert und winkte ihn durch. Beim Durchqueren des Parkgeländes gelangte Ari zu der Vermutung, dass das Anwesen ähnlich wie viele der prächtigen alten Paläste in Indien nun geschäftlich genutzt wurde, wahrscheinlich als Hotel oder Konferenzzentrum.
Als Astbury Hall in Sicht kam, registrierte Ari erstaunt, dass auf den Stufen zum Eingang Herren in Zylinder und Frack sowie Damen in historischen Gewändern versammelt waren. Ein alter Rolls-Royce stand vor dem Haus, daneben wartete ein Mann in altmodischer Chauffeursuniform.
Ari, der sich urplötzlich in die Vergangenheit zurückversetzt fühlte, drosselte das Tempo. Erst als er die Kameras entdeckte, wurde ihm klar, was der Mann im Lieferwagen gemeint hatte.
Jemand signalisierte ihm mit heftigen Handbewegungen, dass er zur rechten Seite des Hauses fahren solle. Offenbar waren die Dreharbeiten in vollem Gange. Ari lenkte den Wagen in einen Hof, in dem hektische Aktivität herrschte. Dort stellte er das Auto ab, stieg aus und geriet in eine Gruppe Techniker und kostümierter Schauspieler, die vor einem Catering-Wagen Schlange standen. Niemand nahm von ihm Notiz. An der Seite des Hauses entdeckte er eine offene Tür, durch die er den Eingangsbereich und schließlich eine große menschenleere Küche betrat.
Ari betrachtete den langen polierten Kiefernholztisch, den altmodischen Herd, das Klavier an der Wand und den durchgesessenen Stuhl neben dem Kamin und fragte sich, ob dies die Küche war, in der Anahita fast einhundert Jahre zuvor gesessen hatte.
» Kann ich Ihnen helfen? « , riss eine Frauenstimme ihn aus seinen Gedanken.
Eine rundliche Frau mittleren Alters sah ihn fragend an. » Hier drin gibt’s nichts zu essen, mein Lieber, die Filmleute werden vom Catering-Van draußen versorgt. Und Klohäuschen sind hinter dem Haus « , fügte sie hinzu.
» Entschuldigen Sie « , sagte Ari. » Ich gehöre nicht zum Filmteam. «
» Und was machen Sie dann in meiner Küche? «
» Ich wollte mir Astbury Hall ansehen. «
» Das Anwesen ist nicht öffentlich zugänglich. « Sie wurde misstrauisch. » Sind Sie Journalist? Wie sind Sie hier reingekommen? Am Tor steht doch ein Wachmann. «
» Nein, nein « , antwortete Ari hastig und überlegte, wie er seine Anwesenheit erklären sollte. » Ich bin wegen einer … Familienangelegenheit hier. «
» Ach. «
» Ja. Eine Verwandte von mir hat vor vielen Jahren in Astbury Hall gearbeitet. «
» Wer soll das gewesen sein? «
» Sie hieß Anahita Chavan. «
» Nie gehört « , erklärte die Frau.
» Dass sie hier war, ist über neunzig Jahre her. Ich halte mich gerade geschäftlich in England auf und wollte mir den Ort anschauen, über den ich so viel gehört habe. «
» Und da spazieren Sie einfach so hier rein? «
» Bitte entschuldigen Sie – ich wusste nicht so genau, an wen ich mich wenden soll. Gibt es noch einen Lord Astbury? «
» Ja, aber er ist zu beschäftigt, um Sie ohne Voranmeldung zu empfangen. «
» Natürlich. Vielleicht … « , er zog seine Visitenkarte aus der Jackentasche, » … könnten Sie ihm die geben? Da stehen meine Handynummer und E-Mail-Adresse drauf. «
Während sie sie las, kam eine attraktive, schlanke junge Frau in einem Kleid aus weich fließender Seide, die ihre schmalen Knöchel anmutig umspielte, in die Küche.
» Störe ich, Mrs Trevathan? «
Ari fiel auf, dass die junge Frau mit leichtem amerikanischem Akzent sprach.
» Nein, nein, meine Liebe. Der Herr wollte gerade gehen. « Die mollige Frau wandte sich wieder Ari zu. » Lord Astbury hat keinen Internetzugang und benutzt das Telefon nur selten. Ich würde vorschlagen, dass Sie Ihr Anliegen schriftlich formulieren und das Schreiben hierlassen. Nun, Miss Rebecca, was kann ich für Sie tun? «
» Ich wollte nur fragen, ob Sie zufällig Antihistamine im Haus haben. Ich muss ständig niesen, und meine Augen tränen. Blüht hier gerade Ambrosia? «
» Kenn ich nicht, aber im Juni ist jedenfalls Heuschnupfenzeit. Seine Lordschaft klagt auch manchmal drüber. « Mrs Trevathan nahm eine Plastikbox mit Tabletten aus einer Anrichte und reichte der jungen Frau die Pillen.
» Danke, Mrs Trevathan. Ich nehm eine beim Essen. Jetzt muss ich gleich ans Set. «
» Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Ich werde Ihrem Rat folgen und Lord Astbury ein paar Zeilen schreiben. Auf Wiedersehen. « Ari folgte der jungen Frau zur Tür und hielt sie ihr auf. » Darf ich? «
Sie bedankte sich und sah ihn mit großen braunen Augen
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